Verbindung von Barock und Gegenwart in Theorie und Praxis
Von Brigitte Borchhardt-Birbaumer
Zur Eröffnung des MuseumsQuartiers wurde hauptsächlich von
der Architektur der Brüder Ortner gesprochen; das ist gerecht, denn es war
nicht leicht, die Endlosgeschichte der Entstehung dieses 60.000 m² großen
Areals seit dem gewonnenen Wettbewerb 1990 durchzustehen. Wechselnde
Regierungen, Personen von der Errichtungsgesellschaft bis zur Spitze des
Denkmalamts waren Faktoren einer Fastverhinderung. Sind wir also in Wien
unbemerkt in andere Zeiten gegangen? Die nach abgeschlossenen
Streitigkeiten relativ kurze Bauzeit wurde wie ein Wunder präsentiert.
Eine Zusammenarbeit mit dem Architekten Manfred Wehdorn, der für die
heikle und viel diskutierte Altbaurenovierung der von Fischer von Erlach
erhaltenen Substanz der Hofstallungen und später dazugekommener Bauten wie
der Reithalle aus dem 19. Jahrhundert zuständig war, wurde bei der
Presseeröffnung als problemlos dargestellt, das ist schon die nächste
Ausnahme in Wien und sollte optimistisch stimmen.
Herbes und
Süßholzgeraspel
Die internationale Kritik war dann gemischt -
von positiven Eindrücken der einzelnen Bauten und der als mutig
bezeichneten Kombination von Alt und Neu bis zum Vorwurf des wilden
Kunstmix war allerhand Herbes wie Süßholzgeraspel über die
Multifunktionalität der ganzen Anlage zu lesen. Dabei ist auch an die
Fertigstellung des Mahnmals für die ermordeten jüdischen Bürger Wiens zu
denken: Damals kam seitens der internationalen Presse statt eines
Qualitäts- ein Quantitätsvergleich (an Quadratmetern) mit dem noch nicht
fertig gestellten Berliner Pendant zur Sprache. Wesentlicher Faktoren wie
die gelungene Platzgestaltung sind emotionalen Primitiv-Mustern von größer
gleich besser geopfert worden. Die Lösung, die Rachel Whitread am
Judenplatz zwischen Skulptur und Architektur gefunden hat, ist als sehr
geglückt zu bezeichnen. Kompromisse gab es auch hier und wahrscheinlich
sind diese nicht nur für Wien typisch. Der Unterschied im
MuseumsQuartier sind die dem größeren Bauvorhaben entsprechenden
Kompromisse; der zu Fall gekommene Leseturm ist nur einer, die stehen
gelassene Reithalle ein anderer. Dass die Brüder Ortner ihrem Projekt
trotzdem treu blieben, beantwortet sich nicht nur durch die enormen
Investitionen materieller und geistiger Natur, die sie bis zum Stadium der
geforderten Umplanung bereits getätigt hatten, sondern auch durch das
Prestige des Projekts. Es mag ein subjektiver Standpunkt sein, aber die
Verbindung mit der vorhandenen Substanz eines hervorragenden Architekten
aus dem 18. Jahrhundert und eines mittelprächtigen im 19. Jahrhundert ist
spannend: Die Stärke des MuseumsQuartiers liegt in der Schnittstelle
zwischen Neu und Alt - im Foyer der Kunsthalle und den Hallen E und G.
Auch die Brücke in den 7. Bezirk ist bis ins Detail des Geländers eine
schöne Lösung. Die Schwäche liegt nicht im "gefallenen" Leseturm, aber in
den innen zuweilen verplant wirkenden Museumsbauten. Atmet die Architektur
in ihrer Lichtregie und Aufteilung im Museum Leopold mehr Großzügigkeit
(hat aber außen unnötigen klassizistisch-minimalistischen Dekor), wirkt
der dunkle Basaltsteinblock des modernen Museums innen völlig
verschachtelt - ein einziger großer Raum im letzten Geschoss, dafür aber
ein enormer Aufwand für den Raumkeil mit verglastem Lift, kann - abgesehen
von den fehlenden Depots am Areal - auch dem neuen Direktor, Edelbert Köb,
ebenso wenig Freude bereiten wie das Logo "Mumok SLW". Es scheint
vernünftig, eine Abkürzung, die einer Molkerei ähnlicher klingt, fallen zu
lassen. Dass die beiden Museen erst im Herbst ihre Sammlungen öffnen und
auch sonst wenig beitrugen, war unverständlich, hatten doch die kleinen
Institutionen weit mehr geleistet (Architekturzentrum, basis usw.).
Blieb und bleibt bis 16. September die Kunsthalle mit der
Eröffnungsschau "Eine barocke Party". Sie integriert die Reaktion auf den
Einzug ins neue Areal. Der historischen Dimension einer Einbettung der
Gegenwartskunst in diese barocke und im Fall der Reithalle neubarocke
Substanz, wurde mit tiefgehenden Überlegungen Rechnung getragen. Die
Kuratoren Sabine Folie und Michael Glasmeier schlossen an zwei Traditionen
der Kunsthalle an: Da ist zum einen die Korrespondenz des ehemaligen
Containers am Karlsplatz mit Fischer von Erlachs Karlskirche - man trifft
auf einen "alten Bekannten", ließ sich diesen aber durch Experten aus der
Kunstgeschichte näher erläutern. Die Schau schließt außerdem an die
Tradition der "Anverwandlungen von Vergangenheit" mit Ausstellungen wie
"Glaube, Liebe, Hoffnung, Tod" an, indem sie schon im Untertitel verrät,
worum es eigentlich geht: "Augenblicke des Welttheaters in der
zeitgenössischen Kunst". Dabei sind Künstlerinnen und Künstler
international ausgewählt, um die Sicht auf die "Wahlverwandtschaft" nicht
einzuschränken. Die Ebenen der Wiederkehr des Barocken in der Gegenwart
sind aber nicht durch bloße Kopie erkennbar - auf den ersten Blick ist die
Nähe nicht immer augenfällig. Sie scheint vordergründig bei den an die
Wand gekleisterten farbpastigen Altären Friederike Feldmanns da zu sein,
aber deren Arbeitsweise zielt darauf ab, gerade die Klischeebilder von
Barock sichtbar zu machen und zum Nachdenken anzuregen. Damit ist der
Denkraum zum Barock eröffnet: Ein lebendiges Laboratorium voll von Humor
(wie ihn Panofsky schon 1934 konstatierte), von Freude an Experiment und
Improvisation, Konzentration auf das Körperliche und nicht die später aus
dem bürgerlichen Puritanismus geborene Innerlichkeit. Die
Psychologisierung liegt mit Melancholie und Vanitas in der Barockzeit hart
neben wissenschaftlichen und religiösen Aspekten, die Spannweite zwischen
Ekstase und Askese ist hier andiskutiert. Wie im Manierismus, der in den
fünfziger bis zu den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts
wiederentdeckt wurde, herrscht Vielstimmigkeit.
Rehabilitierung
des Barock
Mit Feldmanns Altären ist auch die der
Wachsbildnerei des Barock ähnliche Materialgestaltung von Kreuzwegen,
Reliquiaren und anatomischen Figuren angesprochen; wie die Wunderkammer
als Kunst- und Wissenschaftslabor ein Bindeglied zu einer anderen Wiener
Tradition, die im Fach Kunstgeschichte liegt. Die Kunsthistoriker Alois
Riegl, Julius von Schlosser und Max Dvorák waren nach Gurlitt und Wölfflin
federführend in der Rehabilitierung des Barock, sie trennten ihn von der
Norm "Verfallskunst" und diskutierten seine Vielschichtigkeit im
Oszillieren zu Tonkunst und Dichtung. Zum Verständnis wurde im Katalog der
Aufsatz Schlossers "Alois Riegl, Wien und das Barock" von 1934 neu
abgedruckt. Daneben zog man für den historischen Part der Schau (auf der
Empore) Experten wie Christian Benedik, Andreas Kreul, für die
Begriffsfragen auch Svetlana Alpers, für den Reliquienkult und die
Wichtigkeit des Körpers in der Gegenreformation Johannes Zahlten und für
die Automaten- und Maschinenbegeisterung neben Brigitte Felderer den
bekannten Kunsthistoriker Horst Bredekamp heran. Da sind Rezeptionen und
Reaktionen auf den Ort, wie man sie eigentlich vom modernen Museum
erwartet hätte, die aber von der Kunsthalle übernommen wurden. Am Ende der
großen Halle ist an einem Tisch das nötige Angebot an Spezialliteratur zu
finden - wer nicht weiß, dass die Hofstallungen Fischer von Erlachs auf
eine Korrespondenz mit dem Idealplan der Domus Aurea (Haus des Nero) in
Rom anspielen und die barocken Feste und ephemeren Architekturen unserer
Event-Kultur-Sucht nahe sind, kann sich dort daüber informieren. Leider
haben die Verantwortlichen dem Direktor Gerald Matt die vorgesehene
Barockparty im Hof verboten. Sie wäre sicher passender gewesen als das
Gebotene. Der Künstler, der die Automaten- und Maschinenbegeisterung
des Barock in der Gegenwart thematisiert, ist Wim Delvoye mit seiner
"Cloaca" von 2000 oder der "Mischmaschine" in Wegwooddesign von 1992. Hier
wird das maschinell gezeigt, was unter Ludwig XIV. die "niederländische
Reise" hieß: der Stuhlgang - in einem glasklaren Prozess in einer Reihe
mit Magneten, Trichtern, Mixern und Bioreaktoren entsteht "naturidentisch"
Scheiße (ohne große Geruchsbelastung). Was Delvoye "sein" Descartes, ist
Ulrike Grossarth "ihr" Leibnitz. Die berühmte Monadologie wird von ihr als
prästabilisierte Harmonie in die Installation von Erklärungsmodellen
umgesetzt. Dominant im Raum sind nicht nur die schwebenden
Architekturen von Alfred Berger und Tiina Parkkinen, die Kreuzarme und
Ovalbau der Barockarchitektur zitiert, sondern auch die Totenschädel von
Dinos und Jake Chapman. Im Gegensatz zu ihren sonstigen Kriegstheatern an
der Grenze der erträglichen Grausamkeit (in Installation umgewandelte
"Desastres" Goyas usw.) sind die vergrößerten, beschrifteten und
drapierten Objekte der Meditation von Heiligen wie Magdalena und
Hieronymus eigentlich fast "vergnüglicher Ekel im Theater des
Abscheulichen" und doch ist ihre Vanitasallegorie wesentlich. Der aus
der Schule Cunninghams und Cages kommenden minimalistischen (Tanz-)
Künstlerin Yvonne Rainer und ihrem Video "Trio A" und einer Installation
"Inner Appearances" widmet Kuratorin Folie im Katalog einen langen
Vergleich mit Aby Warburgs wichtigem Mnemosyne-Atlas in Bezug auf die
Pathosformeln ihres "denkenden Körpers" und "sinnlichen Denkens". Sam
Taylor-Wood hinterfragt in fries- und panoramatischen Fotosequenzen, die
mit einer Spezialkamera angefertigt sind, immer wieder die eigene Existenz
und lässt den Blick durch Verzerrung barocke Anamaorphosen des Virtuellen
- in traumartiger Wirkung - herstellen.
Ein Mann
Gegenreformation
Bleibt zuletzt der früh an Aids verstorbene
Paul Thek, der sich in der Kapuzinergruft von Palermo mit den Mumien der
Mönche porträtieren ließ. Seine technologischen Fleischstück-Reliquien, in
Glasstelen oder Vitrinen gepackte Imitationen, lassen wieder an das
Theatrum sacrum der barocken Frömmigkeit denken, an Vanitasallegorien
natürlich, aber diesemal herrscht eine dichtere Finsternis vor wie in den
Geschichten Edgar Allen Poes - auch in seiner malerischen Darstellung des
blauen Planenten Erde "Earth Mandala" ist diese von Allnacht
eingeschlossen. Seine katholische Ergriffenheit vom Körperkult ist nicht
nur durch seine Homosexualität begründet, er richtete sich in einer "Ein
Mann Gegenreformation" gegen den Minimalismus, verpackte selbst in Warhols
Brillo-Kartons Fleisch, um seinen Antirationalismus zu unterstreichen.
Seine Arbeitsweise war das alchemistische Kombinieren von Marterstühlen
und ausgestopften Raben, vom Vanitassymbol par excellence, der Feder, und
dem Kreuz - ein Mystiker in der Nachfolge des Bauernkriegers und
Luther-Gegners Jakob Böhme. Das Begleitprogramm zur Ausstellung ist
auf dem gleichen Niveau - Philosophen, Dichter, Musiker sind beteiligt.
Bleibt die Hoffnung, dass der ausgezeichnete Katalog nicht den ephemeren
Strukturen unterliegt. Als eine Glanzleistung könnte diese Party aber für
Besucherinnen und Besucher zur Arte memoria aufsteigen.
Erschienen am: 14.08.2001
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Der "nordische Faust"
Verbindung von Barock und Gegenwart in Theorie und Praxis
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