Bice Curiger: Autorin, Chefredakteurin, international tätige Ausstellungsmacherin, Kulturwissenschafterin, Museumskuratorin. An der Kunstbiennale von Venedig schätzt deren Direktorin auch die Besonderheit der Länderpavillons.
STANDARD: Vor zwei Jahren mussten die Künstler bei der Biennale "Welten bauen", Sie wollen "Illuminations", also Erleuchtung. Klingt beides ziemlich religiös?
Curiger: Ich verbinde Illuminations eher mit der Aufklärung; es beinhaltet auch Abstand zu Gott. Aber natürlich assoziiert man damit auch Mystik. Genau das gefällt mir. Mystik gibt es heute mit und ohne Gott - eher ohne, eigentlich.
STANDARD: Wie kamen Sie auf dieses Biennale-Thema?
Curiger: Abgesehen davon, dass man es in vielen Sprachen verstehen kann, ohne es groß übersetzen zu müssen: Licht ist ein klassisches Thema der Kunst. Ich wollte nicht Welten bauen, philosophische Konzepte entwickeln, sondern wirklich in der Kunst ansetzen. Das könnte natürlich auch furchtbar langweilig, allzu klassisch und akademisch sein. Da fiel mir ein, Licht mit Nationen zu verbinden. So kriegt es einen anderen Dreh. "Illuminations": ein Wort, ein Konzept, das viele Ebenen hat. Anfangs dachte ich: Ich mach das jetzt mal als Thema, später kann ich es ja noch ändern. Aber je länger ich mich nun damit beschäftige, umso mehr erkenne ich, dass es wirklich tragfähig ist.
STANDARD: Die Venedig-Biennale ist weltweit die einzige, die nach Ländern sortiert ist. Ist das nicht ein Anachronismus in einer globalisierten Welt?
Curiger: Ich habe immer wieder gehört: Ach, das mit den Nationen-Pavillons ist doch obsolet und anachronistisch! Das ging mir auch sofort durch den Kopf, als ich das Angebot für die Biennale erhielt. Aber letztlich finde ich das attraktiv! Als Kurator in einer globalisierten Welt erkennt man so seine Grenzen. Ich kann ja nicht behaupten, ich sei kompetent für die ganze Welt. Natürlich reise ich viel, informiere mich. Aber ich bin nicht kompetent für die Kunst aus 89 Ländern, die sich nun hier präsentieren. Man kann gucken und bewerten, was sie zeigen, ob das einen chauvinistischen Unterton hat, vielleicht sogar propagandistische Absichten.
STANDARD: Ist es auch eine Finanzierungsfrage? Jedes Land trägt ja die Kosten selbst.
Curiger: Natürlich! Das ist ein gewichtiger Grund, um die Länderpavillons beizubehalten. Aber darüber hinaus ist es einfach eine interessante Ausgangsposition. Auch wenn das Wort Nation im 21. Jahrhundert einen schweren Nachklang hat. Aber wenn man behauptet, das sei obsolet, sei anachronistisch, dann habe ich auch das Gefühl: Da will jemand die Geschichte eliminieren.
STANDARD: Robert Fleck nennt sein Buch zur Biennale im Untertitel "Eine Geschichte des 20. Jahrhunderts".
Curiger: Genau das ist es. Man kann nicht verleugnen, dass auch Hitler und Mussolini durch die Giardini spaziert sind. Und es gab utopistische Ideen in der Geschichte der Biennale. Oft konnten Künstler einem breiten, internationalen Publikum Sachen zeigen, die eine andere Tonlage, andere Informationen über das Land ermöglichten. Bahrein hat bei der Architektur-Biennale im Juni des Vorjahres den Goldenen Löwen für eine sehr interessante Arbeit bekommen: Sie machten darauf aufmerksam, dass die Fischer zunehmend von den protzigen Prestigebauten verdrängt werden. Ein solcher Beitrag entspricht nicht dem offiziellen Bild von Bahrein. Leider hat Bahrein seinen Beitrag für die Kunstbiennale zurückgezogen.
STANDARD: Weil Sie gerade die Löwen erwähnt haben: Für wie sinnvoll halten Sie diese Preise?
Curiger: 1968 hat man das alles demontiert. Aber diese Löwen sind symbolische Akte der Anerkennung. Ich finde das in Ordnung - Anerkennungen für Künstler finde ich immer gut.
STANDARD: Wer bringt den Pokal nach Hause: Bekommt die Biennale dadurch nicht ein bisschen den Charakter von Skirennen und Fußballweltmeisterschaften?
Curiger: Ja gut. Aber es gibt in dem Sinn keine klaren Gewinner wie im Sport, wo es Sieger und Verlierer gibt. (lacht) Ich kann jetzt doch nicht behaupten, wer den Goldenen Löwen nicht kriegt, sei ein Verlierer.
STANDARD: Franz West wird jedenfalls einen Goldenen Löwen für sein Lebenswerk bekommen. Er hat einen der Parapavillons gemacht. Welche Idee steckt hinter diesen Parapavillons?
Curiger: Es sind Kunstbehältnisse für die Arbeiten anderer Künstler. Sehr oft sind Gruppenausstellungen additiv. Ich wollte, dass sich Künstler und Objekte mehr verzahnen als sonst. Franz West hat beispielsweise seine Küche aus Wien im Arsenal reproduziert. Und an der Außenwand hängen Kunstwerke seiner Freunde, die er zu Hause wirklich in seiner Küche hat. So führt West noch einmal zwanzig Namen ein. Das find ich großartig. Es breitet und weitet sich aus.
STANDARD: Konnten sich die Künstler aussuchen, wer in welchen Parapavillon einzieht?
Curiger: Einige Künstler haben sich dezidiert einen White Cube gewünscht. Wir wiederum wollten nicht einen chinesischen Künstler in einem chinesischen Parapavillon zeigen. Also: Wir haben Vorschläge gemacht, die Künstler haben das dann untereinander diskutiert, und wir haben uns ausgeklinkt.
STANDARD: Einer Ihrer - sehr er-folgreichen - Vorgänger war Ihr Schweizer Landsmann Harald Szeemann. "Von Haralds Bart zu Bices kirschrotem Lippenstift": Mögen Sie diesen Satz des Biennale-Präsidenten Paolo Baratta?
Curiger: Er hat Bezug genommen auf einen Zeitschriftenartikel, in dem ich als sehr nonnenhaft beschrieben wurde. Das einzige Zeichen von Eitelkeit, hieß es da, ist mein roter Lippenstift (lacht). Aber ja. Harald war ein Vorbild, ich habe viel von ihm gelernt. Ich pilgerte als Schülerin zu seinen Ausstellungen, sah natürlich 1972 seine documenta. Ich arbeitete auch jahrelang in der gleichen Institution wie er - allerdings haben wir nie ein Projekt gemeinsam gemacht. Es war eher ein bisschen wie Vater und Tochter. Ich habe vieles ganz anders gemacht als er. Ob das mit bärtig sein und Lippenstift zu tun hat, weiß ich nicht. Ich würde eher sagen, ich habe andere Prägungen - auch durch die Popkultur, die meine Generation sicherlich sehr beeinflusst hat.
STANDARD: Sie hängen heuer in den Zentralpavillon mitten unter die aktuellste Gegenwartskunst drei Tintorettos. Eine Provokation?
Curiger: Ob es eine Provokation ist, weiß ich nicht. Aber es durchbricht eine Konvention. Das lag für mich auf der Hand. Seit 1992 arbeite ich in einem Museum, dessen Sammlung 500 Jahre umspannt. Ich betrachte es als Chance, die Kunstgeschichte durch Impulse von Gegenwartskünstlern neu und anders zu sehen und zu bewerten. Ich erwarte mir eine Friktion von Gegenwart mit alter Kunst. Tintoretto wird plötzlich nicht im Kontext altmeisterlicher Kunst gesehen werden. Man schaut also anders. Und stellt andere Fragen. Außerdem hatte ich immer eine Schwäche für Tintoretto (lacht). Dann kam das Licht-Thema. Es war wie eine Fügung. (Andrea Schurian, DER STANDARD - Printausgabe, 28./29. Mai 2011)
Bice Curiger (63), die Direktorin der 54. Kunstbiennale, wurde als Beatrice Gabriella Livia in Zürich geboren. Die Kunstwissenschafterin und international tätige Kuratorin ist Mitbegründerin und Chefredakteurin der Kunstzeitschrift "Parkett", seit 2005 gibt sie die Museumszeitschrift "Tate etc." heraus. Seit 1993 ist sie feste Kuratorin am Kunsthaus Zürich, wo sie Harald Szeemann nachfolgte.
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