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BA Kunstforum: Das Fressen vor der Moral

08.02.2010 | 18:38 | ALMUTH SPIEGLER (Die Presse)

Ein wahrer „Augenschmaus“ erzählt lockere Geschichten rund um das Stillleben – und behauptet, es ging dabei mehr um die Lust am Luxus als um die Moral.

"Der Tag wird kommen, da eine einzige selbstständig gemalte Karotte eine gewaltige Revolution verursachen wird“, ließ Émile Zola 1886 in seinem Künstlerroman „L'?uvre“ ausrichten. Dabei war die erste vegetarische Revolution schon vorbei – Cézanne hatte Paris, wie angekündigt, mit Äpfeln in Staunen versetzt und Manet der Kunstgeschichte eines ihrer feinsten Stillleben geschenkt, den lichten, schlichten Spargelbund. Die nächste Revolution war dann schon weniger organisch, sie besorgte rund 80 Jahre später eine Paradeissuppendose, geöffnet von Andrew Warhola.

Aber egal, welches Gemüse – für künstlerische Revolutionen waren Stillleben schon immer geeignet. Das ist nur eine Botschaft, die uns die neue Ausstellung im BA Kunstforum mit auf den Weg zum nächsten Schmaus geben möchte. Anhand von 90 Leihgaben aus Museen und Privatsammlungen vom Capodimonte in Neapel bis ins Kröller-Müller-Museum in Otterlo wirft Kuratorin Heike Eipeldauer sechs Schlaglichter auf die Geschichte des Stilllebens oder der „Natura morte“, wie es in Italien und Frankreich weniger romantisch als abfällig hieß.

Zwischen seinen Prunkzeiten in den Niederlanden des 17.Jahrhunderts und der Avantgarden im 19. und 20.Jahrhundert hatte das Stillleben nämlich Staub angesetzt: Im akademischen 18.Jahrhundert galt es sprichwörtlich als das Letzte, als schäbiger Gegenpol zur heroischen Aufgabe des Historienbildes. Wen wundert's, dass es schnell zur Frauensache wurde – vom Aktstudium ausgeschlossen, blieb Künstlerinnen damals auch nicht viel anderes übrig.

 

Dampfender Kaffee für Marie-Antoinette

Eine der Leistungen dieser Ausstellung ist es, einige lang vergessene Stillleben-Malerinnen zu würdigen: Anne Vallayer-Coster zum Beispiel, deren dampfende Kaffeekannen und Suppenterrinen schon Marie-Antoinette den Mund wässrig machten. Auch Paula Modersohn-Becker ist vertreten, die Cézannes Gedankengut um 1900 nach Deutschland importierte. Die Impressionistin Berthe Morisot zeigt in ihrer häuslichen Szene mit Kind den im Vergleich zu ihren Bordelle und Bars besuchenden Kollegen eingeschränkten Themenkreis der Künstlerinnen ihrer Zeit.

Jedenfalls wurden die Künstlerinnen in der Ausstellung nicht in einem eigenen Themenraum isoliert, sondern tauchen in den einzelnen Kapiteln wie „Fleisch“, „Experiment“ oder „Nahrung“ ganz natürlich auf. Die versöhnliche Hängung geht aber weiter, sie verbindet auch Zeitgenössisches mit Historischem. So geraten etwa Damien Hirsts in Formaldehyd eingelegte Weißwürste an Felix Vallottons feinsäuberlich pariertes „Entrecote“ (1914), Sam Taylor-Woods Videobilder eines verwesenden Hasenkadavers an ein Jagd-Stillleben des wenig bekannten Stillleben-Vordenkers Jean-Siméon Chardin (1732) und Maria Lassnigs Äpfel der „Fruchtbarkeit“ stehen plötzlich in direkter Nachfolge des aufgeschnittenen chinesischen Apfels, der – noch ganz symbolisches Beiwerk – vor Joos van Cleves freibusiger Darstellung der Heiligen Familie 1515 zu liegen kam.

Erst um 1650 spricht man vom „stil leven“ als eigenständigem Motiv. Und zwar im damals reichsten Land Europas, den südlichen Niederlanden, wo eine Bürgerschaft ihren neuen Reichtum, eine aufgrund landwirtschaftlicher Fortschritte und kolonialistischer Ausbeutung ungeahnte Fülle lokaler wie importierter Waren bildnerisch zu bewältigen versuchte.

Die Spannung dieser Zeit zwischen Luxus und Calvinismus ist in vielen der prächtigen Arrangements spürbar, sie schwanken zwischen purer sinnlicher Lust und dem Verweis auf deren Vergänglichkeit. Wobei Eipeldauer die Meinung vertritt, dass die Sinneslust und eine mit wissenschaftlichen Entwicklungen wie der Anatomie einhergehende Neugier überwog. Erst später soll die schon leicht penetrante moralische Deutung hinzugekommen sein, die in den aufgebrochenen Austern, Pasteten und Granatäpfeln überall nur Tod und Vanitas sah. Sehr erbaulich.

Bis 30.Mai. Täglich 10–19, Fr 10–21Uhr. BA Kunstforum, Freyung8, Wien1


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