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Dandy, Narziss, Bohemien, Punkrock-Künstler, Bürgerschreck. Ein Mythos
emanzipiert sich. Wer war Martin Kippenberger? Der rastlose deutsche
Künstler, der durch die Welt hetzte und fast wie zufällig 1997 in Wien an
Leberkrebs starb. Mit 44 Jahren, zu jung. Ein Jahr zuvor heiratete er die
Wiener Fotografin Elfie Semotan, zog ins Burgenland. Ein Selbstdarsteller,
ein Inszenierer, der seine Bilder, Installationen, Objekte, Skulpturen
schamlos zu Markte karrte, liest man in alten Kritiken. Nur, wen juckt das
heute noch, wo das Image, der knallige Auftritt oder die penetrante
Introspektion zur Grundvoraussetzung des Künstlertums mutiert sind?
Und wen kann das schon in den lauten 80er Jahren gestört
haben, als Kippenberger launig im Hype der Neuen Wilden Malerei
mitschwamm? Könnte man doch von Kunst auf Charakter schließen!
Frustrierend wäre das bei jemandem, der Stillosigkeit zu seinem Stil
ausrief. Allein sein Lebenslauf liest sich wie ein Klischee, wie eine
Romanfigur von Stuckrad-Barre oder einem der jungen britischen
No-Future-Kult-Autoren: Die Jugend voller Drogen, bricht er das
Kunststudium in Hamburg (bei Hausner!) ab, wohnt in Sigmar Polkes Kommune,
Mutter stirbt tragisch, er will Schauspieler werden, will Schriftsteller
werden, gründet eine Band mit Namen "Luxus", wird von Punks verprügelt und
so weiter. 1977 entsteht die erste Bildserie in Florenz "Einer unter
euch", und nur langsam geht es ab in die Kunstszene, in der er sich dann
in den ersten Jahren der 80er Jahre vor allem selbst produziert.
Für die Generationen "Nach Kippenberger" - wie das MUMOK
die erste Retrospektive in Österreich nennt - bleiben nur Mythos,
Spekulationen, Anekdoten und ein unübersichtliches Werk, mit dem "Kippy"
in 15 Jahren ganze 93 Einzelausstellungen bestritten hat. Nach seinem Tod
schwoll die Zahl der Ausstellungen kurz an, dann wurde es still, die
Gruppenausstellungen verschlangen hin und wieder seinen Namen. 2003 ist
wieder Kippenberger-Jahr. Heuer wäre er 50 geworden, heuer darf er posthum
Deutschland auf der Biennale Venedig vertreten - die fast perverse
Erfüllung seines Traumes. Anfang des Jahres rotierten die großen
Kippenberger-Retrospektiven durch Deutschland - Karlsruhe zeigte 500
Exponate, Tübingen die Zeichnungen, Braunschweig die Multiples. Und auch
das Wiener MUMOK hängt sich jetzt mit 200 Werken an. Gerade rechtzeitig
zum Biennale-Start, heute Donnerstag. Irgendwie wollte man sich auf die
Architektur in Kippenbergers Werk konzentrieren, aber das geht sowieso
unter. Hatte man in Wien doch noch nie die Gelegenheit einer so
umfangreichen Personale. Also hinein in das Gestrüpp: Latex-Bilder wie
brutale Reliefs, Selbstporträts mit Silikon-Konturen - nie lachend, ewig
viele Zeichnungen auf Hotelpapier, von altmeisterlich bis hingefetzt,
Architekturmodelle aus Holzpaletten, Straßenlaternen, die sich um und in
die Wände schlingen - und ein Wald.
"Tiefes Kehlchen" war eine aufwendige Installation, die
Kippenberger 1991 in einen Wiener U-Bahn-Schacht einbaute, als die
Festwochen noch Budget für die bildende Kunst ausgaben. Gruselig im
Gruftigrund. Links und rechts die Gummibilder, schwarz und hell, eine
eingezogene Silber-Ellipse durch die "Heavy Burschi" auf dem Elektromobil
rollte, vorbei an Lampe "Kippenblinky" hinein in die Sphäre "Jetzt geh ich
in den Birkenwald, denn meine Pillen wirken bald". Große Holzpillen liegen
verstreut unter wuchernden Birkenstämmen, teils echt, teils schwarzweiß
kopiert. Die Poesie schwappt endgültig über. Ohne Sprachwitz und
Brachial-Wortspiel kein echter Kippenberger. Sonst heiße es gleich
"Martin, ab in die Ecke und schäm dich" und ein roter Plastik-Kopf neigt
sich gen Wand. Schuldgefühle? "Dont' Wake Daddy" sticht in seiner
Schlichtheit seltsam heraus: Zehn Holzreliefs zeigen Lärmverursacher,
Aggressoren - ein dudelndes Radio, der Fuß, der über den Hundenapf
stolpert. Lärmbilder ganz still. Davor jeweils ein spießiges Zäunchen, die
Kunst in den Schrebergarten schließen.
In einem extra Raum dann ein lauernder Spiderman im
Künstleratelier, das großformatige "Die Verbreitung der Mittelmäßigkeit" -
Farbchaos, wie auf einen Teller gekotzt. Und an den Wänden ringsum alles
zugekleistert mit Ausstellungsplakaten. Hier schreit ein ganzes
Künstlerleben.
Bis 31. August. Di.-So. 10-18h, Do. bis 21h.
© Die Presse | Wien
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