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12.06.2003 - Ausstellung
Kippenberger-Jahr: Im stillosen Gestrüpp - die Exzentrik
Heuer wäre der Meister der Klischees 50 Jahre alt geworden. Das Museum moderner Kunst holt den Deutschen wieder zurück nach Wien.
VON ALMUTH SPIEGLER


Dandy, Narziss, Bohemien, Punkrock-Künstler, Bürgerschreck. Ein Mythos emanzipiert sich. Wer war Martin Kippenberger? Der rastlose deutsche Künstler, der durch die Welt hetzte und fast wie zufällig 1997 in Wien an Leberkrebs starb. Mit 44 Jahren, zu jung. Ein Jahr zuvor heiratete er die Wiener Fotografin Elfie Semotan, zog ins Burgenland. Ein Selbstdarsteller, ein Inszenierer, der seine Bilder, Installationen, Objekte, Skulpturen schamlos zu Markte karrte, liest man in alten Kritiken. Nur, wen juckt das heute noch, wo das Image, der knallige Auftritt oder die penetrante Introspektion zur Grundvoraussetzung des Künstlertums mutiert sind?

Und wen kann das schon in den lauten 80er Jahren gestört haben, als Kippenberger launig im Hype der Neuen Wilden Malerei mitschwamm? Könnte man doch von Kunst auf Charakter schließen! Frustrierend wäre das bei jemandem, der Stillosigkeit zu seinem Stil ausrief. Allein sein Lebenslauf liest sich wie ein Klischee, wie eine Romanfigur von Stuckrad-Barre oder einem der jungen britischen No-Future-Kult-Autoren: Die Jugend voller Drogen, bricht er das Kunststudium in Hamburg (bei Hausner!) ab, wohnt in Sigmar Polkes Kommune, Mutter stirbt tragisch, er will Schauspieler werden, will Schriftsteller werden, gründet eine Band mit Namen "Luxus", wird von Punks verprügelt und so weiter. 1977 entsteht die erste Bildserie in Florenz "Einer unter euch", und nur langsam geht es ab in die Kunstszene, in der er sich dann in den ersten Jahren der 80er Jahre vor allem selbst produziert.

Für die Generationen "Nach Kippenberger" - wie das MUMOK die erste Retrospektive in Österreich nennt - bleiben nur Mythos, Spekulationen, Anekdoten und ein unübersichtliches Werk, mit dem "Kippy" in 15 Jahren ganze 93 Einzelausstellungen bestritten hat. Nach seinem Tod schwoll die Zahl der Ausstellungen kurz an, dann wurde es still, die Gruppenausstellungen verschlangen hin und wieder seinen Namen. 2003 ist wieder Kippenberger-Jahr. Heuer wäre er 50 geworden, heuer darf er posthum Deutschland auf der Biennale Venedig vertreten - die fast perverse Erfüllung seines Traumes. Anfang des Jahres rotierten die großen Kippenberger-Retrospektiven durch Deutschland - Karlsruhe zeigte 500 Exponate, Tübingen die Zeichnungen, Braunschweig die Multiples. Und auch das Wiener MUMOK hängt sich jetzt mit 200 Werken an. Gerade rechtzeitig zum Biennale-Start, heute Donnerstag. Irgendwie wollte man sich auf die Architektur in Kippenbergers Werk konzentrieren, aber das geht sowieso unter. Hatte man in Wien doch noch nie die Gelegenheit einer so umfangreichen Personale. Also hinein in das Gestrüpp: Latex-Bilder wie brutale Reliefs, Selbstporträts mit Silikon-Konturen - nie lachend, ewig viele Zeichnungen auf Hotelpapier, von altmeisterlich bis hingefetzt, Architekturmodelle aus Holzpaletten, Straßenlaternen, die sich um und in die Wände schlingen - und ein Wald.

"Tiefes Kehlchen" war eine aufwendige Installation, die Kippenberger 1991 in einen Wiener U-Bahn-Schacht einbaute, als die Festwochen noch Budget für die bildende Kunst ausgaben. Gruselig im Gruftigrund. Links und rechts die Gummibilder, schwarz und hell, eine eingezogene Silber-Ellipse durch die "Heavy Burschi" auf dem Elektromobil rollte, vorbei an Lampe "Kippenblinky" hinein in die Sphäre "Jetzt geh ich in den Birkenwald, denn meine Pillen wirken bald". Große Holzpillen liegen verstreut unter wuchernden Birkenstämmen, teils echt, teils schwarzweiß kopiert. Die Poesie schwappt endgültig über. Ohne Sprachwitz und Brachial-Wortspiel kein echter Kippenberger. Sonst heiße es gleich "Martin, ab in die Ecke und schäm dich" und ein roter Plastik-Kopf neigt sich gen Wand. Schuldgefühle? "Dont' Wake Daddy" sticht in seiner Schlichtheit seltsam heraus: Zehn Holzreliefs zeigen Lärmverursacher, Aggressoren - ein dudelndes Radio, der Fuß, der über den Hundenapf stolpert. Lärmbilder ganz still. Davor jeweils ein spießiges Zäunchen, die Kunst in den Schrebergarten schließen.

In einem extra Raum dann ein lauernder Spiderman im Künstleratelier, das großformatige "Die Verbreitung der Mittelmäßigkeit" - Farbchaos, wie auf einen Teller gekotzt. Und an den Wänden ringsum alles zugekleistert mit Ausstellungsplakaten. Hier schreit ein ganzes Künstlerleben.

Bis 31. August. Di.-So. 10-18h, Do. bis 21h.


Objekte aus der Ausstellung


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