09. Januar 2010 - 00:04 Uhr · Von Anke Benstem · Reisen

Essen 2010: Es weht ein frischer Wind im Ruhrpott

Es weht ein frischer Wind im Ruhrpott
DEUTSCHLAND. Das Ruhrgebiet, einst Inbegriff von Dreck und Lärm, hat sich für Urlauber zu einer der spannendsten Metropolen Europas gemausert. Die heutige Kulturregion überrascht durch grüne Oasen und die kreative Neunutzung alter Industriegebäude.

Wohl kein anderes Ballungsgebiet hat in den vergangenen Jahrzehnten einen solch beeindruckenden Wandel von der Industrie- zur Kulturregion vollzogen. Wer heute hierher kommt, schlägt zum Beispiel in Essen sein Quartier auf. Und hat auf mehr als 4000 Quadratkilometern Fläche dann die Qual der Wahl aus einem überbordenden Angebot an Freizeit- und Kulturangeboten, mit denen sich leicht ein zweiwöchiger Urlaub füllen lässt.

Tauchen im Gasometer

„Ich probiere ständig etwas Neues aus. Gerade war ich in Duisburg klettern“, erzählt Studentin Sophia. In Duisburg tauchen im Emscher Park ganz Mutige in voller Tauchausrüstung im Meidericher Gasometer, einem alten Industriespeicher, der heute statt mit Hochofen-Gas mit Wasser gefüllt ist.

Wer lieber hoch hinaus will, klettert wie die 25-jährige Sophia auf den imposanten Hochöfen herum. Das ehemalige Hüttenwerk bei Duisburg ist als Teil der Europäischen Route der Industriekultur ein echter Besuchermagnet. Und auf irgendwie geerdete Weise sehr romantisch im Dunkeln, wenn die rostigen Gebäude rot, grün und blau beleuchtet sind.

Ein Ruhrgebiet-Muss ist auch ein zweiter Gasometer, nämlich der in Oberhausen. 1929 als Zwischenspeicher für Kokereigas gebaut, ist die weithin sichtbare dunkelgraue Tonne seit 1988 industriell stillgelegt. Aber ruhig ist es hier noch lange nicht: Der runde Raum bietet wechselnde Ausstellungen und Installationen, darunter immer wieder ganz spektakuläre wie vor zehn Jahren „The Wall“ von Christo und Jeanne-Claude.

Ganz nebenbei hat man vom Dach des Industriemonuments aus 117 Metern Höhe einen atemberaubenden Blick über Oberhausen und das westliche Ruhrgebiet. Selbstverständlich auch auf das CentrO direkt nebenan, ein weit gestrecktes Gebäude, umgeben von einer künstlichen Erlebnislandschaft, das als Europas größtes Shopping- und Freizeitcenter nicht nur in Deutschland Standards setzt. Wer’s mag, kann hier problemlos einen ganzen Tag verbummeln.

Nicht nur sprichwörtlich weht ein frischer Wind durchs Revier. Um sich den um die Nase wehen zu lassen, sind Besucher am Baldeneysee genau richtig. Hier im Süden Essens ist die Ruhr zu einem See gestaut, rundherum flitzen auf einem asphaltierten Rundweg Skater und Radfahrer um die Wette.

Auf dem See selbst wird gerudert, was das Zeug hält. Jeder findet seine persönliche Form der Erholung: Spaziergänger schlendern den Fußweg entlang, und sobald es das Wetter zulässt, raucht auf dem Grünstreifen am Ufer sofort der eine oder andere Grill.

Ab Mai 2010 sollen vier Kunst-Inseln mit Namen wie „Eisberg“ oder „U-Boot“ auf dem Stausee schwimmen, zu denen Besucher dann auf Leihbooten fahren können.

Weniger Trubel ist an Sophias Lieblingsplatz, nur einen Katzensprung entfernt. Bei der Villa Hügel lässt es sich gepflegt flanieren. Oder, Sophias Tipp, picknicken: „Meine Freunde und ich treffen uns hier jeden Frühling einmal und faulenzen den ganzen Tag.“

1873 ließ der Industrielle Alfred Krupp die schlossähnliche Villa für seine Familie bauen. Der private Park drum herum hat heute wunderbar alte Bäume und steht gegen ein kleines Eintrittsgeld Besuchern offen. Danach Shoppen in Essens City oder noch ein bisschen alte Kirchen schauen?

Augenblick! Baudenkmäler, hier? Tatsächlich, der nahe gelegene Essener Stadtteil Werden ist eine unerwartete kleine Perle, ein mittelalterliches Städtchen mit vielen alten Häusern und Kirchen, die den Krieg abseits der großen Industriezentren unbeschadet überstanden haben.

Grönemeyers Heimat

Die Kleinstadt Hattingen südlich von Bochum hat übrigens eine adäquate Fachwerkidylle zu bieten. Anders als Bochum selbst, der mit viel Herz besungenen Heimat von Barde Herbert Grönemeyer, wo die Innenstadt nach 1945 in Schutt und Asche lag und heute wie alle großen Ruhrgebiet-Städte von Nachkriegsbauten dominiert wird.

Egal, Bochum hat trotzdem eines der besten Schauspielhäuser und eines der meistbesuchten Museen Deutschlands. Das Deutsche Bergbau-Museum ist Pflichtprogramm im Revier. Nicht nur, dass es auf den Förderturm aus graublauem Metall 62 Meter hoch hinauf geht – Besucher fahren auch in die Tiefe. Zwar ist nach 20 Metern schon wieder Schluss. Doch dann wartet ein originalgetreu nachgebautes Schaubergwerk darauf, Besuchern den Knochenjob unter Tage zu zeigen. 400.000 Besucher besichtigen das bedeutendste Bergbaumuseum der Welt jedes Jahr und lernen, wie früher „im Pott“ Eisenerz und Steinkohle gefördert wurde. Apropos Pott: Kulinarisch bietet das Ruhrgebiet passend zu seinen Bewohnern einen bunten Multikulti-Mix mit Gerichten aus aller Welt jenseits von „Pommes Schranke“, den berühmt-berüchtigten Fritten mit Ketchup und Majo. Polnisch, arabisch, britisch, Gourmet-Küche – für jeden Geschmack und Geldbeutel gibt es Restaurants.

Eine echte Kult-Kneipe steht in Essens Stadtteil Rüttenscheid. Beim Holländer DePrins verspeist man – dann doch – traditionell holländische „Pommes spezial“ mit viel Zwiebeln und trinkt dazu ein kühles Grolsch in der schummrigen Wohnzimmeratmosphäre mit kitschig-kultiger Deko.

Eine Eisenbahn steht Kopf

An der Decke dreht schon ewig eine kleine Eisenbahn kopfüber ihre Kreise. Um am nächsten Tag die vielen Kalorien wieder zu verbrennen, bietet das Ruhrgebiet nicht nur den Emscher Landschaftspark, der sich zu Fuß, per Rad oder mit dem Kanu erobern lässt. Es gibt zum Beispiel auch den 230 Kilometer langen Ruhrtal-Radweg von der Quelle im Sauerland bis zur Mündung in den Rhein. Man kann auf dem Ruhr-Höhenweg von Wetter bis Duisburg wandern.

Oder, Sophias Tipp für Regenwetter: Snowboarden in der riesigen Indoor-Skihalle in Bottrop. Irgendwo ist immer was los in der Kulturhauptstadt Ruhr 2010. Heute, Samstag, geht’s offiziell los

Informationen: www.ruhr2010.de www.ruhr-tourismus.de www.essen.de www.baldeney-see.de www.villahuegel.de www.bergbaumuseum.de www.tauchrevier-gasometer.de www.alpincenter.com/bottrop/startseite www.deprins.de
Reiseführer: Marco Polo Reiseführer Ruhrgebiet, ISBN 978-3-8297-0537-0, 10,30 Euro

Quelle: OÖNachrichten Zeitung
Artikel: http://www.nachrichten.at/ratgeber/reisen/art119,317566
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