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15.09.2006 - Kultur&Medien / Ausstellung
Sammlung Essl: Ein Meter hinten nach
VON ALMUTH SPIEGLER
Mit "China Now" folgt nach der Leipziger Schule der nächste Trend.

Kein Weg führt für den Sammler von Welt zurzeit vorbei an zeitgenössi scher Kunst aus China. Seit etwa einem Jahr schreit die Neopop-Malerei mit sozialistisch-realistischem Retro-Charme von den Covers nicht nur der avantgardistischsten Kunstmagazine. Passend dazu verkünden die Auktionshäuser die Rekorde - Namen wie Zhang Xiaogang, dessen "Comrade 120" zuletzt auf 860.000 Dollar hinaufschnalzte, wird man sich also zu merken versuchen müssen. Und das einstige Fabriksateliergelände Dashanzi in Peking hat sich vom Underground-Tipp bereits zur Touristenattraktion gewandelt.

Es wäre nicht Karlheinz Essl, ließe ihn dieser Boom unberührt. Seine Klosterneuburger Sammlung hat sich in den letzten Jahren von ihrem einstigen Schwerpunkt auf österreichische Malerei zu einer Art Trendkunsthalde verwandelt: Nach der Kunst des Balkans, der Aborigines-Art und der Neuen Leipziger Schule gibt er jetzt Einblick in die nächste Kunstlandschaft, mit der er sich, wie er betont, ebenfalls seit Mitte der Neunzigerjahre beschäftigt. Dieser Mann muss sich unglaublich viel Zeit nehmen für die Kunst. Oder Berater mit großem Talent für Zusammenfassungen haben.

Für seine recht unverschlüsselt betitelte Ausstellung "China Now" konnte er jedenfalls alles versammeln, was an Rang und Namen aus der chinesischen Szene über die Grenzen hinaus bekannt ist. Kurator Feng Boyi etwa gilt als renommiertester seiner Gilde. Die brutal monumentalen Gemälde Fang Lijuns voll Glatzköpfe sind ebenso bereits gut bekannt wie die unnatürlich verlängerte Zahnreihen bleckenden Kumpanen Yue Minjuns. Gemeinsam mit Xiaogang und seinen soften Weichzeichner-Porträts ist das repräsentative Star-Trio dann perfekt.

Seit den 90er-Jahren werden in China vermehrt westliche Kunstpraktiken wie Body Art (Rong Rong), Psychedelic (Yan Lei) oder Gerhard Richters verschwommener Fotorealismus (Yang Shaobin) rezipiert. Was sich in der Schau vor allem in recht verwechselbarer neuerer Fotografie und Installationskunst widerspiegelt.

Gezeigt werden soll durch diese Mischung der Mittel zwar die Vielfalt chinesischer Kunst. Doch stärker zu denken gegeben wird so einmal mehr die frappante stilistische Globalisierung - auch wenn inhaltlich charakteristisch die eigene Vergangenheit aufgearbeitet wird. Auffällig dabei ist vor allem die Abbildung Nackter, wohl als Sinnbild des verletzlichen Menschseins.

Gegen den geballten groben Sarkasmus der Gemälde sticht in seiner sanften Ironie ein wunderbar stilles Fotodokument heraus: Für "Add One Meter on an Unknown Mountain" legten sich 1995 auf einer Hügelkuppe fünf Künstler nackt übereinander. Und karikierten derart die beschworene Einheit von Mensch/Natur vor dem Hintergrund der großteils miserablen Lebensverhältnisse in Chinas ländlichen Provinzen.

Über den Stinkefinger, den Ai Weiwei City-Marks wie Eiffelturm, Weißes Haus oder Tian'anmen Platz zeigt, geht die Provokation bei Essl aber nicht hinaus. Was für chinesische Kunst nicht unbedingt zutrifft, denkt man etwa an die Anzeige, die sich das Kunstmuseum Bern 2005 einhandelte, als es die Kollektion Ulli Siggs, Sammler-Pionier chinesischer Gegenwartskunst, ausstellte: Auslöser war ein menschlicher Fötus, den Xiao Yu mittels Vogelflügel zum erschreckenden Chimären-Präparat verwandelte.

Ein Schockerlebnis, das wohl mehr über den Wert des Lebens in China aussagt als alle knallbunten Bilder zusammen. Die Hamburger Kunsthalle, die gerade eben die Berner Ausstellung übernommen hat, verzichtete gleich von vornherein auf das Exponat. So zensiert eben auch der Westen selbst sein eigenes Bild von China.

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