Artikel aus profil Nr. 49/2002
Unruhe im Ressort

Der schwarze Wahltriumph stellt Österreichs Kunstszene vor neue Fragen. Wer wird sich ihrer Probleme künftig annehmen? Franz Moraks Verbleib im Amt gilt keineswegs als ausgemacht.
Das Diskussionsniveau sinkt zusehends. Als eine „Strafe“ sieht etwa der Philosoph Rudolf Burger, in freudiger Erregung über den Ausgang der Nationalratswahl, die aktuelle Bestätigung der Strategien der Österreichischen Volkspartei. „Die SPÖ, die Linken und die Kunstszene“, meint Burger, hätten nun „ihre Strafe bekommen“ für ihre Demagogie und andere undemokratische Denkungsarten. Die gezüchtigte Kunst: Das Bild ist symptomatisch für die Art, in der die kulturpolitische Debatte hierzulande geführt wird. Wer nicht stillhält und annimmt, was an Struktur und Subvention generös gewährt wird, fasst anschließend die Rechnung dafür aus. So sieht das mittlerweile, wie es scheint, auch die konservative Intelligenz des Landes: Wer sich zu laut beklagt, wird – wenn der Wähler nur will – dafür bestraft.

Dabei steht mehr auf dem Spiel als nur die Frage, wer wofür gemaßregelt werden soll. Österreichs Kunst ist gefährdet, gegenwärtig mehr denn je: Denn die Bestätigung des – auch kulturellen – Kurses der ÖVP lässt ahnen, dass die letzthin beschrittenen Wege auch in Zukunft die Richtung vorgeben werden. Der Status quo der schwarz-blauen Kulturpolitik, geprägt von Repräsentation, Risikoscheu und Marktanpassung, könnte somit erhalten bleiben.

Von Aufwertung und Bedeutungszuwachs war eigentlich die Rede, immer wieder. Die Kulturpolitik müsse in Zukunft direkt vom Machtzentrum Bundeskanzleramt aus gesteuert werden. Das war 1997. Der damalige SP-Bundeskanzler Viktor Klima gab die entsprechende Losung aus und erklärte die Kultur zur „Chefsache“. Peter Wittmann wurde zum ersten Kulturstaatssekretär, unter der blau-schwarzen Regierung folgte ihm Franz Morak. Der ließ vor zwei Wochen, knapp vor den Wahlen, via APA-Interview verlauten: „Es ist in dieser Republik in den letzten 30, 40, 50 Jahren innerhalb der Kulturpolitik noch nie so viel passiert wie unter einer schwarz-blauen Koalition und wie unter mir als Staatssekretär für Kunst und Medien.“

Moraks Selbstsicherheit stehen deutlicher Widerspruch und Kritik von Kulturschaffenden und Kulturmanagern aus (fast) allen Bereichen entgegen. Die Filmbranche, die um die längst fällige Erhöhung der Bundessubvention noch immer verzweifelt kämpfen muss, befindet sich trotz bemerkenswerter internationaler Erfolge (von Michael Haneke bis Ulrich Seidl und Peter Tscherkassky) weiterhin in der Krise. Eine zufrieden stellende Lösung in Sachen Künstlersozialversicherung ist trotz jahrelanger Lippenbekenntnisse nicht in Sicht. Für die in die partielle Selbstverwaltung entlassenen Museen fehlt ein Konzept, das die Ausstellungshäuser auf spezifische Aufgabenbereiche festlegen und sie für den Rezipienten unterscheidbarer machen würde. Der Bundesanteil an den Fördergeldern für freie Theater und kleine Kunstinstitutionen ist unter Morak radikal gekürzt worden, das Ausbleiben der Subventionen treibt viele unabhängige Initiativen ins Aus.

Kunstministerium?

Sollte es nun, nach Wolfgang Schüssels Wahlsieg, zu einer schwarz-roten Koalition kommen, sehen viele die Kultur wieder in den Zuständigkeitsbereich der SPÖ fallen: „Die ÖVP wird ungern auf eines ihrer Schlüsselressorts verzichten. Die Kultur hingegen ist ein unruhiges Ressort, das man leichter an den kleinen Koalitionspartner abgeben wird“, glaubt etwa Walter Famler, Herausgeber der Literaturzeitschrift „Wespennest“ und seit 1. Dezember neuer Leiter des Kunstverein Wien – Alte Schmiede. Famler wünscht sich eine „offene, dialogorientierte Kulturpolitik, die zulässt und nicht verordnet, zeitgenössisches Kulturschaffen in den Vordergrund stellt und internationalen Austausch pflegt“. Wenn die Verwirklichung einer solchen Linie auch stark von einzelnen Personen abhänge, meint Famler, so traue er den dazu nötigen liberalen und offenen Kulturbegriff allerdings eher den infrage kommenden SPÖ-Kandidaten zu.

„Der Mär von der Chefsache glaube ich nicht“, fügt Famler hinzu und liegt damit durchaus auf einer Linie mit dem Wiener Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny, der die aus SPÖ-Regierungszeiten stammende Idee für tot erklärt: „Die Chefsache Kultur ist nicht aufgegangen.“ Die Wiedereinführung eines Kulturministeriums, wie es auch schon in Wahlkampfzeiten (Neben-) Thema war, hält Mailath – wie übrigens auch die Grünen – für „sinnvoll“. Seine Präferenz wäre „ein kombiniertes Bildungs- und Kulturministerium mit einem großen Budget, in dem man leichter Geld umschichten kann“. Die SPÖ, schließt Mailath, wäre jedenfalls bereit, ein solches Kulturministerium zu führen.

Im Museumsbereich fehlt Mailath vor allem eine klare Aufgabenverteilung. „Was abseits der persönlichen Vorlieben der Direktoren die Rolle der Museen ist, denen sie vorstehen“, sei „noch nicht beantwortet“, so Mailath. Dies müsse auch für den Theaterbereich geklärt werden. Dabei gehe es nicht um eine Beschränkung, sondern um eine klare Festlegung der Profile der einzelnen Häuser.

In ÖVP-Kreisen wird in der Zwischenzeit auch intern Kritik an der Amtsführung Franz Moraks laut. Aus dem Kreis des Personenkomitees für Wolfgang Schüssel hört man derzeit, dass der Kanzler selbst mit dem Führungsstil und den Ergebnissen morakscher Kulturpolitik alles andere als zufrieden sei.

VP-Stadtrat Peter Marboe, als Kandidat für eine mögliche Neubesetzung des Kunststaatssekretariats gerüchteweise im Gespräch, reagiert auf die Frage, ob er selbst sich vorstellen könnte, als Nachfolger Moraks tätig zu werden, ungewohnt schroff: „Davon hab ich nichts gehört“, teilt er nur knapp mit – und: „Dazu sag ich nichts. Die Frage können Sie vergessen.“ Am derzeitigen Amtsinhaber wird die Wiederbesetzung des Kunststaatssekretariats mit Franz Morak nicht scheitern: Dieser gibt zu Protokoll, dass er seine Tätigkeit „selbstverständlich gerne weitermachen möchte“; wenig verwunderlich, bezeichnet er doch seine bislang gesetzten Maßnahmen in einer Zwischenbilanz als „beinahe fehlerlos“.

Neidisch auf Österreich?

Marboe teilt den Pessimismus vieler Beobachter, was die Kulturpolitik der vergangenen zweieinhalb Jahre betrifft, ebenfalls keineswegs. Der frühere amtsführende Kulturstadtrat Wiens illustriert das gute Gefühl, das er habe, wenn er Österreichs Kunstlandschaft betrachte, mit einem Wort des ehemaligen Berliner SPD-Kultursenators Hilmar Hoffmann, dem zufolge man heute „nur neidisch nach Österreich schauen und die österreichische Kulturpolitik bewundern“ könne. Marboe fügt an, er habe sogar den Eindruck, dass unter der schwarz-blauen „Regierungskonstellation“ die Kultur insgesamt „freier und artikulierter“ geworden sei. Er sehe „diesen Einschnitt nicht“, von dem seit der politischen Wende im Februar 2000 so viel die Rede sei – Kultur habe schließlich grundsätzlich mit „Bewegung und ernsthafter Auseinandersetzung“ zu tun. Man müsse nur in die Zeitungen blicken, um festzustellen, dass es zu einer großen Vermehrung der intellektuellen Stimmen gerade in kulturpolitischen Fragen gekommen sei.

Über die Kunst und ihre Verwalter nur zu reden wird allein freilich keines der vielen Probleme, die Künstler und Kulturinitiatoren in Zeitungen und Diskussionsveranstaltungen schlüssig artikulieren, lösen können. Von einer Kulturpolitik, die diese Stimmen tatsächlich ernst nimmt (und sie nicht bloß als Demagogie verbucht), scheint man dieser Tage weniger denn je ausgehen zu können.

Autor: Stefan Grissemann und Julia Kospach


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