Galerien
O, wie nett ist’s im Korsett
(cai) Ikebana, das ist was für
Warmgießer. (Sich eine Nelke ins Knopfloch zu stecken, ist aber
vermutlich kein Ikebana.) Da ist die schwedische
Brettlschraubkunst (Ikea) schon eher was für den Peter Sengl.
Er schraubt jedenfalls wie ein Inbusschlüssel. Und wenn er mit seinen
Damen fertig ist, halten sie still wie ein Billy-Regal und können sich
nimmer rühren. Weil er ihnen total unpraktische Prothesen (eigentlich
Behinderungen) verpasst hat. Dieser Dr. Frankenstein der Heimwerker lebt
seine bizarren Bastelfantasien allerdings nicht nur an den Frauen aus,
auch an herzigen Hunderln und Afferln (der Perversling!). Ach was, das
tut er eh bloß auf dem Leintuch. Äh, im Bett? Nein, Tschuldigung: auf
der Lein wand . Und auf dem Papier.
Sich freilich partout die Frida Kahlo als Opfer auszusuchen (die
"Königin der Schmerzen", die die Ärzte in ein Stahlkorsett gezwängt
haben), das ist ungefähr so, als würde man der Jungfrau von Orleans auf
dem Scheiterhaufen auch noch mörderisch hohe Stilettos anziehen, damit
ihr die Fußsohlen brennen. Das ist dann nämlich auch schon
wurscht. Die markanten Selbstporträts der Kahlo übersetzt der Sengl
quasi wörtlich ins Senglische. Also wenig originell. Er dreht
der "Frida dolorosa" halt ein paar zusätzliche Schrauben ins
Fleisch. Oder entfernt ihr die rechte Hirnhälfte. O, damit nimmt er ihr
ja den Humor weg! Ausgerechnet die rechte Hälfte! Ohne die versteht man
doch keine Witze! Kennen Sie übrigens den? Ein Übersetzungsprogramm
soll die Bibel für den modernen Leser aktualisieren. Aus "Der Geist ist
willig, aber das Fleisch ist schwach" wird dann: "Der Schnaps ist gut,
aber das Schnitzel kann man nicht empfehlen." Tja, der Sengl ist
ebenfalls willig. Doch seine dekorative Sadomaso-Orthopädie funktioniert
hier ausnahmsweise nicht.
Galerie Gerersdorfer
Währinger Straße 12, 1090
Wien
Peter Sengl, bis 16. Oktober, Do. – Sa.: 11 – 20 Uhr
Das zweibeinige Klavier
(cai) Was hat es zu bedeuten,
wenn in einer Galerie ein einsames Bein von einem Klavier herumliegt?
Hm. Wahrscheinlich so ziemlich dasselbe wie ein Handy, das von einem
Laster überfahren worden ist, oder wenn ich meine cholerische Nachbarin
knebeln täte: Stille. Herrliche Ruhe. Und das Gipsfigürchen, das
Annelies Oberdanner vom Balkon geworfen hat, um die Trümmer
auf einem Sockel zu präsentieren, macht garantiert auch keinen Mucks
mehr. Ist aber sicher geräuschvoll auf dem Asphalt zerschellt. Dann
diese echte Mumie, die sich beharrlich ausschweigt. Okay, ein
ausgemergelter Fußball, der draußen vergessen worden und schon halb
vermodert ist. Künstler sind eben Zauberer, die Restmüll in Kunst
verwandeln, wie Prinzessinnen aus Fröschen Prinzen herausbusseln.
Allerdings schauen die Prinzen nach ihrem "Coming-out" nimmer wie
Frösche aus. (Falls die klassischen Bronzeskulpturen daneben die
Skeptiker besänftigen sollen: Bei mir gelingt es ihnen eh
nicht.)
Layr Wuestenhagen
An der Hülben 2, 1010 Wien
Annelies
Oberdanner: "Noise", bis 16. Oktober
Di. – Fr.: 11 – 18 Uhr, Sa.: 11
– 16 Uhr
Backe, backe, Bücher
(cai) Diese Österreicherin hat
eine Geduld, die ist nicht mehr von diesem Kontinent. Die ist schon
japanisch . Weil die Japaner verlegen die Kieselsteinderln in
ihren Gärten ja einzeln, oder? Und Eva Werdenich brennt eben
Keramikstacheln, fein wie Tannennadeln, und steckt sie mit der Kondition
eines marathonmeditierenden Zen-Buddhisten gewissenhaft in Papier,
Folie oder Steinzeug. Sie bäckt sogar Bücher: sinnlich rohe Ziegel im
Format von Lexikonbänden. Strenge Objekte von überwältigend exotischer
Schlichtheit.
Galerie Artefakt
Strauchgasse 2 (Palais Ferstel),
1010 Wien
Eva Werdenich, bis 15. Oktober
Mo. – Fr.: 13 – 18 Uhr
Printausgabe vom Mittwoch, 06.
Oktober 2010
Online seit: Dienstag, 05. Oktober 2010 19:23:00
Kommentar senden:
* Kommentare werden nicht automatisch
veröffentlicht. Die Redaktion behält sich vor Kommentare abzulehnen.
Wenn Sie eine Veröffentlichung Ihrer Stellungnahme als Leserbrief in der
Druckausgabe wünschen, dann bitten wir Sie auch um die Angabe einer
nachprüfbaren Postanschrift im Feld Postadresse. Diese Adresse wird
online nicht veröffentlicht.