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Kunstberichte
Das Bank Austria Kunstforum zeigt bis 5. Dezember die erste große Frida-Kahlo-Ausstellung in Österreich

Der Blick als Pforte zur Unterwelt

Frida 
Kahlo "Selbstbildnis mit Dornenhalsband" aus dem Jahr 1940. 
Foto: Nickolas Muray Collection/VBK Wien 2010

Frida Kahlo "Selbstbildnis mit Dornenhalsband" aus dem Jahr 1940. Foto: Nickolas Muray Collection/VBK Wien 2010

Von Judith Schmitzberger

Aufzählung 50 Gemälde und 90 Arbeiten auf Papier aus allen Schaffensperioden.
Aufzählung Im Zentrum stehen die berühmten Selbstporträts.
Aufzählung Frida Kahlos Großnichte hat dazu eine umfassende Fotoausstellung kuratiert.

Wien. Es sind ihre Augen. Oder genauer gesagt die Art, wie sie ihre Augen selbst gesehen hat. Und wie sie damit ihren Blick auf den Betrachter ihrer Selbstporträts richtet, auf sich selbst richtet. Unausweichlich, unbestechlich und auf grausame Weise wahrhaftig. Ihre Augen porträtierte Frida Kahlo stets als eine strenge, große und dunkle Pforte in ihre eigene Unterwelt. Als Tor zu einem Leid, das sich nur in der Andeutung darstellen lässt. Denn der Blick, zu dem sie ihre Augen auf Gemälden fokussiert, ist ein fordernder, melancholisch introvertierter, in jedem Fall leidvoll einnehmender.

Die seit heute, Mittwoch, geöffnete Schau im Kunstforum zeigt jedoch, dass es nicht nur ihre eigenen Augen sind, die um die herum Frida Kahlo ihre Gemälde arrangierte. Diese tiefe Melancholie, dieser seelische Schatten, er liegt auch auf anderen Porträts, spricht auch aus anderen Augenpaaren.

Eine grazile Madonna und ein gütiger Blick als Ruhepol

Auf dem frühen Bildnis ihrer Freundin Alicia Galant (1927) etwa, das Frida Kahlo selbst als ihr erstes Kunstwerk bezeichnete. Die junge Frau ist wie eine grazile Renaissance-Madonna dargestellt, ihr helles Gesicht strahlt vor einem dunklen Sternenhimmel. Ihr Blick ist verschlossen und ernst. Auch aus dem sorgenvoll einsamem Ausdruck eines Gemäldes von Kahlos Nachbarin Dona Rosita Morillo (1944), das die Künstlerin als eines ihrer Lieblingsbilder bezeichnete, spricht jene unbestechliche Traurigkeit. Gütige, warme Augen, die Geborgenheit und Ruhe ausstrahlen, hat Frida Kahlo ihrem Ehemann vorbehalten. Die tiefen Lider und weichen Gesichtszüge eines Porträts von Diego Rivera aus dem Jahr 1937 wirken wie ein sanfter Ruhepol.

Bei kaum einer anderen Künstlerpersönlichkeit sind Leben und Werk so unmittelbar mit einander verbunden wie bei Frida Kahlo, bei kaum einer anderen fließt körperliches Leid so direkt in künstlerische Umsetzung. Der Grund dafür liegt in der tragischen Biografie Kahlos. Kinderlähmung, die erst spät gestellte Diagnose eines offenen Rückens, ein Busunglück und zahlreiche Operationen machen Kahlo zu einer Heroin des Schmerzes. Die langen Phasen der Genesung waren es, die Kahlo zur Kunst gebracht haben. Ihre ersten und letzten Werke entstanden im Liegen. Die Motive, die ihr dabei am nächsten waren: Schmerz, Einsamkeit und das eigene Antlitz. Genährt wurde diese Intensität auch durch zwei glück- und schmerzvolle Ehen mit Diego Rivera, dessen zahlreiche Affären und denen, die Kahlo führte.

Das Leben als Schmerz, diese Grunderfahrung zeigt sich in der Schau im Kunstforum nicht nur in Form von (teils überraschenden) Zeichnungen und Gemälden Kahlos, in denen sie auch Themen wie Fehlgeburten, die eigene Krankheit und kosmische Liebe thematisiert. In der Mitte des zentralen Raumes ist ein Gipskorsett ausgestellt, das Kahlo als glühende Anhängerin der Revolution mit Hammer und Sichel bemalt hat.

Tragisch schillernde Ikone zwischen Kunst und Kult

145 Gemälde umfasst das Werk von Frida Kahlo, 60 davon sind ihrer eigenen Person gewidmet. "Ich male mich, weil ich so oft alleine bin und mich am besten kenne", hat Kahlo diesen Umstand kommentiert, der sie weit über Mexiko hinaus zu einer Ikone zwischen Kunst und Kult gemacht hat. Und doch sind die Porträts höchst abwechslungsreich – der Rahmen des immer gleichen Blickes macht den Unterschied – von naturalistischen über symbolische, politische und surreale Nuancen. Immer gleich ist dabei die emotionale Intensität. Eine umfassende Fotostrecke mit privaten Bildern ergänzt die Schau sehr stimmig. Frida Kahlos verführerisch herbe Schönheit kommt dabei besonders in den berühmten Porträts ihres Langzeit-Geliebten Nickolas Muray zur Geltung.

Kahlo war mit Leib und Seele Mexikanerin. Ihr Kleiderschrank umfasste unzählige Trachten, die sie mit Liebe zum Detail kombinierte und um indigenen Haarschmuck erweiterte. Die Tracht – einige Stücke sind in Wien zu sehen – diente Kahlo als politisches Ausdrucksmittel. Ihre Lieblingstracht symbolisiert eine Region Mexikos, in der bis heute Matriarchat herrscht. Eine Tatsache, die Kahlo zur Identifikationsfigur vieler Frauen machte. Wie sehr ihr Heimatland Kahlo und Rivera bis heute schätzt, bewies die mexikanische Staatsbank am Montag: Den neuen 500 Pesos-Schein schmücken Porträts der beiden.

Die Wiener Schau entstand in Zusammenarbeit mit dem Berliner Gropius Bau. 235.000 Besucher kamen im Frühjahr in 14 Wochen in die Berliner Schau, nahmen mehrstündiges Schlangestehen auf sich. Um einen Blick werfen zu können in diesen unerbittlichen seelischen Abgrund in einem dunklen Augenpaar.

Die Frida Kahlo Retrospektive ist bis zum 5. Dezember im Kunstforum auf der Freyung zu sehen. Kuratoren: Helga Prignitz-Poda, Ingried Brugger, Florian Steininger.

http://www.bankaustria-kunstforum.at

Aufzählung Zur Person: Frida Kahlo

1907 Frida Kahlo wird am 6. Juli als Magdalena Carmen Frieda Kahlo Calderon in Mexiko geboren. Kahlo gibt ihr Geburtsjahr später mit 1910 an, dem Jahr der mexikanischen Revolution.

1914 Erste gesundheitliche Probleme. Diagnose: Kinderlähmung und Wirbelsäulenfehlbildung.

1922 Mit 15 sieht Kahlo Diego Rivera erstmals, er fertigt in ihrer Schule ein Wandgemälde an.

1925 Eine Stahlstange durchbohrt Kahlos Unterleib bei einem Busunglück. Während ihrer langwierigen Genesung beginnt sie im Bett liegend zu malen.

1928 Frida Kahlo tritt der Kommunistischen Partei bei.

1929 Kahlo heiratet den berühmten Wandmaler Diego Rivera.

1931 Erste öffentliche Ausstellung in San Francisco. Leben zwischen Mexiko und den USA.

1934 Frida verlässt Diego vorübergehend, nachdem sie die Affäre mit ihrer Schwester entdeckt.

1937 Begegnung mit Leo Trotzki.

1939 Nach zahlreichen Affären lässt sie sich von Diego scheiden.

1940 Kahlos Ruhm als Künstlerin wächst. Sie stellt in New York, Paris und Mexiko City aus. Frida und Diego heiraten erneut.

1942 Frida Kahlo beginnt ihre zehnjährige Lehrtätigkeit an der Kunstakademie La Esmeralda.

1944 Aufgrund der Verschlechterung ihres Zustandes muss Frida Kahlo ein Stahlkorsett tragen, ab 1951 sitzt sie im Rollstuhl.

1953 Erste Einzelausstellung in Mexiko-City, Frida Kahlo erscheint auf einer Bahre liegend.

1954 Kalo stirbt am 13. Juli, vermutlich an einer Lungenembolie.



Printausgabe vom Mittwoch, 01. September 2010
Online seit: Dienstag, 31. August 2010 19:44:00

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