In Wien kann man sich vor Retrospektiven zur Zeit kaum retten. Alle
sind sie dabei sehr lobenswert, von Kippenber ger im MUMOK bis
Kocherscheidt im MAK. Die Kunsthalle setzt mit dem ebenfalls relativ früh,
1976 mit 52 Jahren, verstorbenen Marcel Broodthaers noch eine drauf. Das
ist ebenfalls äußerst lobenswert, hat sich doch der belgische
Kunst-Stratege mehr verdient als die inflationären Beteiligungen bei
diversen Gruppenausstellungen. Denn durch seine kritisch-komische Themen-
und Medienvielfalt passt Broodthaers in praktisch jedes Kuratoren-Konzept.
Für die erste Einzelpräsentation in Österreich haben die
beiden Kuratorinnen Sabine Folie und Gabriele Mackert allerdings nicht den
so simplen wie auch übersichtlichen Weg der chronologischen Retrospektive
gewählt, sondern sich auf zwei inhaltliche Stränge konzentriert:
Broodthaers' pointierte Museums- und Kunstmarkt-Kritik sowie seinen
enzyklopädischen Blick auf die Klischees von Exotik und Fremde. Wer sich
jetzt vor trockener Konzepterei aus den 60er und 70er Jahren fürchtet,
kann aufatmen. Man muss keine Theorien wälzen, um die Kurzfilme,
Diaprojektionen, Objekte und Zeichnungen wirken zu lassen. Leitfaden durch
die Ausstellung sind ganz einfach Broodthaers Initialen "M.B.", die er
stur wiederholt und variiert. Die Signatur, die jedes Werk zum Original
macht - beim Belgier wurde sie zur flachen Marke eines Massenartikels.
Hundertfach gefilmt, gezeichnet, projiziert. Die goldene Kuh des
Kunstmarkts verkommt zum Herdentier.
Angenehm unernste Wege für 1964, als sich der Dichter und
Fotograf Broodthaers mit bereits 40 Jahren kurzerhand zum Künstler
ernannte und genüsslich in die Arena des Kunstzirkus eintrabte - siehe die
Einladung zu seiner ersten Ausstellung (Abb.). Kurz darauf folgte schon
ein eigenes Museum. 1968 gründete Broodthaers das "Musée des Aigles", das
Museum der Adler. Eine fiktive Institution, mit allen Insignien der Macht
wie Marketingabteilung oder Museumsschilder ausgestattet. Eine charmante
Lüge, die den ersten, ziemlich strengen Teil der Ausstellung beherrscht.
Richtig poetisch-historisch dagegen der abgedunkelte
Hauptraum: Hier surren die Filmprojektoren, klappern die Dia-Karusselle,
flackern die Bilder an den Wänden. Eine beruhigend einsichtige Technik,
die sich nicht verleugnet - High-Tech darf hier Ferien machen.
Unbeeindruckt sitzt hier etwa Broodthaers im strömenden Regen und führt
seine Feder übers klatschnasse Papier - wen interessieren schon Inhalte,
der Wille zählt, und jede Gießkanne muss schließlich einmal leer sein.
Gegenüber sprießt das Exoten-Kabinett: 160 Motive aus Schulbüchern,
Lexika, Kinderbüchern aus dem 18. und 19. Jahrhundert sammelte der
Künstler zur ultimativen Klischee-Show mit Zebras, Sklaven, schillernden
Fischen und Palmen - die überall verstreut auch die gesamte Ausstellung
zum absurden "Jardin d'hiver" (Wintergarten) verwandeln.
Verwandelt hat der Belgier 1964 auch einen abmontierten
Bankschalter. Über den Luken steht noch "Change" und "Coupon" - auf der
anderen Seite macht man schon mit "poèmes" Geschäfte. Bei einem
"Happening" rezitierte Broodthaers hinter diesem Schalter einst Gedichte,
während Männer durch die Zuschauerreihen gingen und die damals neue
Werbe-Wahrheit flüsterten: "Persil wäscht die Wäsche weißer". Und beim
Betrachten eines Fischerbootes, das Broodthaers, von Gischt bis Mast in
Einzelbilder aufgelöst, den Hafen nie erreichen lässt, kann man dann
darüber sinnieren, warum diese "neue Wahrheit" das "Happening" heute so
gründlich besiegt hat.
Bis 26. 10. Tägl. 10-19 Uhr, Do. bis 22 Uhr.
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