15.05.2003 21:11
Nektar aus dem südlichen Osten
Mit
"Blut & Honig" bringt Harald Szeemann Kunst aus Südosteuropa in die Sammlung
Essl nach Klosterneuburg
Und postuliert: "Zukunft ist am Balkan, weil im Westen im Moment
niemand wirklich etwas verändert."
Klosterneuburg - Der ganze Kunstmarkt mit seiner Betriebsamkeit, das
ganze New York mit all diesen Galerien, sagt Harald Szeemann, werde ihm
zusehends öder. Die Kunst aber, die aktuelle Produktion, die könne ihn gar nicht
langweilen. Das ganze Gerede vom Tod der Malerei oder irgendeiner anderen Sparte
interessiere ihn nicht. Weil: "Es fängt doch alles immer wieder von vorne an."
Und er ist nun einmal gerne dabei, zur Initiation, wenn es noch Solidarität gibt
unter den Künstlern, man noch beisammensitzen kann, und trinken und reden, bevor
alles seinen Lauf nimmt - und schlussendlich scheitert.
Und also hat
Harald Szeemann jetzt, kurz nach dem Kartografieren Chinas für den Kunstmarkt,
das die Biennale von Venedig 2001 prägte, den Balkan heimgesucht. Und ist sich
der Tatsache bewusst, dem unausweichlichen Scheitern des Ideals an der Praxis
dadurch Vorschub zu leisten.
Der Mann ist schließlich Legende. Und in
wessen Atelier der einmal mit einem unverdorbenen Künstler auf die Zukunft
angestoßen hat, trifft sich anschließend die internationale
Verwertergesellschaft, um auszuschlachten, was mit oberster Aufmerksamkeit
gesegnet wurde. Allein, es hilft nichts. Der Szeemann, der mit der fünften
Kasseler Documenta 1972 die Themenausstellung dem Kunsthandel zum Trotz erfunden
und, um noch eins draufzusetzen, auch gleich die "Sehschule" für hernach
hoffentlich mündige Besucher eingeführt hat, wird seine Neugier nicht los. Er
sucht und findet Begeisterung, also Zukunft.
Momentan findet die,
schildert er, am Balkan statt. Und, weil Szeemann nun einmal verwerten muss,
sofort mitteilen, was ihn gerade bewegt, zeigt er die Zukunft nahe Wien - in der
Sammlung Essl in Klosterneuburg. Dort hat er ein Treffen seiner
Reisebekanntschaften organisiert, die Ausstellung Blut und Honig - Zukunft ist
am Balkan. So etwas, sagt er, geht nur in Wien. Denn nirgendwo sonst könne man
einen Ausstellungsauftakt mit dem Leichenwagen der Habsburger, in dem Kronprinz
Ferdinand nach dem Attentat von Sarajewo zu Grabe getragen wurde,
inszenieren.
Nur hier würde man den Zusammenhang - ohne weitere
Erklärungen - verstehen. Und fügt an, dass der Wagen doch nicht zum Auftakt
wurde, weil die eingetroffenen Werke eben nach einer anderen Choreografie
verlangt hätten. Alles kein Problem, Hauptsache, die Schau spiegelt wider, worum
sich Szeemanns Welt(kunst)geschichte dreht: Intensität. Ob die nun "privaten
Mythologien" entspringt (auch so ein Begriff, den Szeemann geprägt hat) oder
einfach den Produktionsbedingungen, spielt für die Begeisterung keine
Rolle.
Alles darf passieren, solange es nur nicht "blutleer" ist, solange
es unmittelbar mit dem Leben verknüpft ist. Nur diesen Zusammenhang sieht
Szeemann als universal, als Ethnien, Religionen, Mehrheiten und Minderheiten
verbindend. 73 Künstler hat er eingeladen, Blut und Honig zwischen Slowenien,
Moldawien und Albanien vorzuführen.
Mladen Stilinovic aus Belgrad trifft
eine der Kernaussagen der Schau: "An artist who cannot speak english is no
artist." Esra Ersen aus Ankara hat einen Strafraum eingerichtet. Dort sitzt sie,
schneidet aus der deutschen Nationalflagge das Schwarz weg und erhält derart
eine Fahne in den Farben des Fußballclubs Galatasaray Istanbul. Kunst mit Saft.
(DER STANDARD, Printausgabe, 16.5.2003)