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Schlußbild aus Allan Sekulas "Die Schule ist eine Fabrik"

Ausstellung
Wie es euch regiert
Von Thomas Wagner
 
03. Februar 2004 Lüneburg liegt neuerdings bei Kassel. Schließlich wird derzeit vieles umgeschichtet im Land. Die Territorien driften, und wo eben noch Peripherie war, ist plötzlich Zentrum. Und so hat - wenigstens für eine Weile - auch "Die Regierung" im Kunstraum der Universität Lüneburg ihren Sitz. Von Kanzler, Kabinett und Kumpanen, von Parlament, Opposition und Reformtheater fehlt gleichwohl jede Spur. Statt dessen hat Roger M. Buergel, erst kürzlich zum künstlerischen Leiter der Documenta 12 gekürt, zusammen mit Ruth Noack in einem kleinen, sympathisch provisorischen Raum auf dem Campus den zweiten Teil eines Ausstellungsprojekts zur Frage der "Gouvernementalität" realisiert. Er steht unter dem Titel "Die Universität ist eine Fabrik" und sucht an gerade einmal vier künstlerischen Arbeiten den Veränderungen von Herrschaftsstrukturen nachzugehen.

Draußen grüßen die Leuchtreklamen von Aldi und der Mecklenburgischen Versicherungsgruppe. Drinnen wird mit großem Ernst die Fabrikation von Wissen erforscht, wobei es zunächst so scheinen mag, als würden mit Allan Sekula, Martha Rosler, Harun Farocki und Jean-Luc Godard lediglich längst als kritisch bekannte Positionen wiederholt. Allan Sekulas Arbeit "School Is a Factory" von 1978/80 gibt der Ausstellung den Titel vor. Spröde und mit dem für die siebziger Jahre typischen Pathos des Dokumentarischen prangert er mittels Fotografien, kommentierender Texte und Piktogrammen den janusköpfigen Charakter der Bildung an. Man sieht eine junge Malerin, die, statt Bilder zu malen, die Wände ihres Lofts anstreicht, eine Landschaft, voller als Parks getarnter Fabriken, einen Filmkritiker als Taxifahrer. Schlaglichtartig beleuchtet Sekula, wie Menschen als "Rohmaterialien" der Bildung zu erwünschten "Produkten" geformt werden und auf welche Weise die "Fusion organisierter Wissenschaft mit dem Big Business" vonstatten geht. Wohin der banale Terror normierten Verhaltens führen kann, zeigt Martha Rosler in ihrem "Gespäch mit den Eltern" von 1976, einer Mischung aus Beichte und Soap-opera: Atemlos erzählen die Eltern von ihrer Tochter, die an Magersucht gestorben ist.

Die Ästhetik des Wissens und der Macht

Die Ausstellung, deren dritter Teil im April realisiert wird, bevor ähnliche Projekte in Barcelona, Rotterdam und Wien folgen, versteht sich offen als "Konkretisierung" der Foucaultschen Analyse der "Gouvernementalität", in der Regieren als eine Form des Handelns beschrieben wird, die das Handeln anderer konkret bestimmt, indem sie es einschränkt, untersagt, zuläßt oder fördert. Ins Leben hineinregiert wird also überall, da die Herrschaftsverhältnisse längst in Institutionen eingesickert sind und das Verhalten jedes einzelnen prägen. In einem Gespräch mit Ducio Trombadori erläuterte Foucault 1978, was das bedeutet: "Mir scheint in der Tat, daß sich hinter der gegenwärtigen ökonomischen Krise und den großen Gegensätzen und Konflikten, die zwischen den reichen und armen Nationen (industrialisierten und nichtindustrialisierten Ländern) absehbar werden, eine Krise der Regierung abzeichnet. Unter Regierung verstehe ich die Gesamtheit der Institutionen und Praktiken, mittels deren man die Menschen lenkt, von der Verwaltung bis zur Erziehung. Diese Gesamtheit der Prozeduren, Techniken, Methoden, welche die Lenkung der Menschen untereinander gewährleisten, scheint mir heute in die Krise gekommen zu sein."

Die Sache ist weniger prätentiös, als es scheinen mag. Denn statt Foucaults Analyse lediglich bildhaft zu illustrieren, versucht Buergel, sie anhand von Fallstudien zu untermauern und fortzuschreiben. Was er in den ausgestellten Werken aufspürt, sind jene Räume, Brüche und Wendungen, in denen Herrschaft nicht länger abstrakt erscheint. Dadurch allererst kann man sehen und erkennen, wie Macht und Wissen einander durchdringen. Man habe kein "apartes Sujet auffahren wollen", sagt Buergel. Sichtbar werden sollten komplexe Verbindungen von Wissen und Macht, wie sie den Alltag und das Verhalten der Menschen durchdrungen haben. Dies gelte es, in die ästhetische Form der Ausstellung zu übersetzen und dabei den Betrachter in deren kompositorische Aktivität einzubeziehen: "Diese Ausstellung nimmt in ihrer Form ihr Sujet auf."

Historisch belegtes Brötchen

Wie wenig Buergel an einer statischen Präsentation gelegen ist, zeigt sein Umgang mit der Schlußsequenz aus dem Film "Tout Va Bien" von Jean-Luc Godard und Jean-Pierre Gorin aus dem Jahr 1972, mit dem Godard, nachdem er vier Jahre lang mit dem Dziga-Vertov-Filmkollektiv gearbeitet hatte, erfolglos zum kommerziellen Kino zurückkehrte. Nachdem die Sequenz bereits im ersten Teil gezeigt worden war, bildet sie jetzt zusammen mit einer Szene aus Harun Farockis Film "Die Schöpfer der Einkaufswelten" eine Art historisches "Sandwich". Schauplatz ist beide Male ein Supermarkt. Doch wo bei "Alles in Butter" ein Funktionär der Partei das Kommunistische Manifest im Supermarkt anpreist ("Verkaufen Sie Ihr Buch nicht wie Gemüse!"), bis die Situation durch den plötzlich ertönenden Ruf der "neuen sozialen AkteurInnen": "Alles ist gratis!" und das Eingreifen der Polizei ins Absurde umschlägt, wird in Farockis Film von "Experten" die optimale Einrichtung eines Brotregals debattiert, als gelte es, eine Ausstellung zu hängen. Wo Farocki die Kamera von einem Standpunkt aus minutiös die Handlung verfolgen läßt, gleitet diese bei Godard in einem ruhigen Pendelschlag an der langen Reihe der Kassen entlang. Godards Kamera, erklärt Buergel, funktioniere nicht wie ein neutrales Auge, das dokumentiere, was geschehe, sondern wie ein Brennglas: "Wo sie hinschaut, beginnt etwas zu brennen."

Befänden wir uns noch auf den Plattformen Okwui Enwezors, die Documenta von 2007 hätte in Lüneburg bereits begonnen. Roger M. Buergel ist aus anderem Holz. Ihm dient das akademische Spiel mit Diskursen als Tarnung, unter der er mit großer Ruhe und Präzision daran arbeitet, der Kunst ihren eigenen Erkenntniswert zurückzuerobern. "Die Frage ist", sagt Godard, "ob man sich für Leute interessiert, für eine bestimmte Zahl von Leuten, und ausgehend davon, wie man die Leute erreicht."

Kunstraum, Universität Lüneburg, bis 12. Februar.

Text: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 03.02.2004, Nr. 28 / Seite 33
Bildmaterial: Kunstraum

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