Simon Winterman radelte in drei Monaten von Essen über Pécs nach Istanbul, was dort auf geringes Interesse stieß.
Die Folgen sind trotz einiger Highlights vielfältig.
Ein Empfang für einen holländischen Radfahrer, der seit April mit dem Fahrrad von Essen über Pécs bis Istanbul unterwegs war und die Eröffnung zweier Bühnen, auf denen 14 Tage lang Künstler und Artisten aus 16 Ländern für Unterhaltung sorgen werden - das waren die Highlights des Programms der Kulturhauptstadt Istanbul 2010 für Ende Juni. Gegen beide Veranstaltungen gibt es nichts einzuwenden, nur: Im Gewusel der 15-Millionen-Stadt werden sie kaum wahrgenommen. "Kulturhauptstadt, wo denn", antworten die meisten Istanbuler, befragt nach ihrer Meinung zur bisherigen Performance der Veranstaltung. Es gab zwar schon hunderte Veranstaltungen, doch meist so kleinteilig, dass sie kaum auffallen.
Dominiert wird die Kulturhauptstadt von einem anderen Phänomen: der Baustelle. Schon im Vorfeld wurde kritisiert, dass der größte Teil des Istanbuler Kulturhauptstadt-Etats nicht für Veranstaltungen, sondern für die Restaurierung historischer Bauten verplant worden war. Das Kalkül dahinter: das Geld lieber nachhaltig, also für eine langfristige Aufwertung Istanbuls als Tourismus-destination statt in kulturelle Großereignisse zu investieren. Viele Künstler waren enttäuscht, etliche Mitglieder des Organisationskomitees warfen das Handtuch. Das Nachhaltigkeitsargument hätte vielleicht trotzdem überzeugt, wenn die Strategie geklappt hätte. Doch bis heute, sechs Monate nach dem Eröffnungsfeuerwerk, sind immer noch vorwiegend Baustellen zu besichtigen. Die berühmtesten Moscheen, die Süleymanie und die Fatih-Moschee, eingehüllt in Bauplanen. Die Pantokrator-Kirche, komplett abgedeckt. Teile des Archäologischen Museums, wegen Renovierung gesperrt.
Auch das vielbesprochene neue Museum des Literaturnobelpreisträgers Orhan Pamuk (wo die in seinem Roman Museum der Unschuld beschriebenen Gegenstände ausgestellt werden sollen) ist eine Baustelle. Das Pamuk-Museum in der historischen Çukurcuma-Straße gehört zwar nicht mehr offiziell zum Kulturhauptstadt-programm, weil sich der Nobelpreisträger nach öffentlichem Hickhack um die für das Museum vorgesehenen Gelder zurückgezogen hat, bleibt aber trotzdem eine Hauptattraktion. Ob es in diesem Jahr noch zu besichtigen ist, ist unsicher. Ende September, heißt es, sei die Eröffnung, die schon im Juni stattfinden sollte.
Die offiziellen Kulturhauptstadtplaner haben sich in Baustellen verheddert; Privatsponsoren zeigen, wie es anders geht. Zwei große Konzerne, Koç und Borusan Holding, haben heuer zwei ehemalige Stadtvillen aus dem 19. Jahrhundert als Musik- beziehungsweise Galeriehaus eröffnet. Hier findet statt, was sich viele Künstler für das offizielle Programm gewünscht hätten.
Dem ebenfalls privaten Sabanci-Museum am Bosporus ist mit der
Großausstellung Das legendäre Istanbul - 8000 Jahre Stadtgeschichte ein
Highlight geglückt, das man sich von den Kulturhauptstadtplanern
erwartet hätte: Wenn es einen inhaltlichen Schwerpunkt der
Kulturhauptstadt Istanbul gibt, dann diese großartige Präsentation.
Ansonsten gilt: Besuchen Sie Istanbul 2011, dann werden die meisten
Baustellenplanen weg sein.
(Jürgen Gottschlich aus Istanbul/ DER STANDARD, Printausgabe, 2.7.2010)
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