Wiener Zeitung · Archiv


Kunstberichte

Die Orangenschlacht von Ivrea

Illustration
- Alljährlich im Februar versinkt die piemontesische Stadt Ivrea in einem Meer von Orangen.  Foto: Österreichisches Museum für Volkskunde/Rina Grinn

Alljährlich im Februar versinkt die piemontesische Stadt Ivrea in einem Meer von Orangen. Foto: Österreichisches Museum für Volkskunde/Rina Grinn

In Europa gibt es alljährlich drei große Lebensmittel-Schlachten. In dem spanischen Ort Haro im Weinbaugebiet Rioja beschütten einander im Juni die Bewohner mit Tausenden Litern Rotwein. Gespritzt und vergossen wird der "vino tinto" mittels außergewöhnlicher Behältnisse: Neben Eimern, Weinschläuchen, Feuerwehrspritzen und Wasserpistolen kommen bei solcher Gelegenheit sogar WC-Spülkästen zum Einsatz.

Ebenfalls in Spanien, nämlich in Buñol bei Valencia, bewerfen einander Jahr für Jahr im August bis zu 20.000 Personen mit etwa 100 Tonnen Tomaten, bis sich die Straßen in regelrechte Ketchup-Bäche verwandeln.

Am buntesten treiben es jedoch die Einwohner der piemontesischen Stadt Ivrea, wo zur Karnevalszeit die traditionelle Orangenschlacht stattfindet. Das Österreichische Museum für Volkskunde hat diesem kuriosen Brauch nun eine eigene Fotoausstellung gewidmet. Im Rahmen des Europäischen Monats der Fotografie im November 2006 präsentiert dort die russischstämmige, in Wien lebende Fotografin Rina Grinn den Orangenkrieg von Ivrea im Wege einer Kunstinstallation.

Gemeinsam mit dem Szenografen Thomas Geisler inszeniert die Künstlerin ihre Fotos als Modell gruppendynamischer Prozesse innerhalb einer Menschenmenge. In diesem Kontext wird ein breites Spektrum menschlicher Ausdrucksformen, wie Siegestaumel, Erregung, Aggression, Angst und Schmerz, in gekonnter Szenenabfolge zur Schau gestellt.

Der Ursprung des Brauches soll angeblich bereits im 12. Jahrhundert liegen. Einer legendarischen Überlieferung zufolge habe zu jener Zeit ein Lehensherr das Volk gegen sich aufgebracht, weil er jahrelang das Recht der ersten Nacht mit den Bräuten der Stadt ( "ius primae noctis" ) einforderte. Die Müllerstochter Violetta, so wird berichtet, habe dem Lüstling aber schließlich den Kopf abgeschnitten und damit einen Volksaufstand ausgelöst.

Heute spielen in der Dramaturgie des Spektakels sowohl Violetta als auch der Tyrann eine Rolle. Tausende Orangenwerfer stürmen auf die in Streitwägen befindlichen Tyrannenwächter los. Auf diese Weise werden bei dem Happening jährlich rund 350 Tonnen Orangen vernichtet.

Im Zusammenhang mit der Ausstellung findet im Volkskundemuseum am 30. November, um 18 Uhr, der Vortrag von Jan Tabor "Orange. Die Kulturgeschichte einer Kampffarbe" statt.

Orangenkrieg – Proben für den Volksaufstand. Kunstinstallation im Österreichischen Museum für Volkskunde (bis 10. 12.). 1010 Wien, Laudongasse 15–19

Geöffnet: Di. bis So. 10 bis 17 Uhr

Info im Web: http://www.volkskundemuseum.at

Wiener Museumsstücke Von Johann Werfring

Mittwoch, 22. November 2006


Wiener Zeitung · 1040 Wien, Wiedner Gürtel 10 · Tel. 01/206 99 0 · Mail: online@wienerzeitung.at