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Kunstberichte

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Das Meer rülpst nicht

Aufzählung (cai)Männer sind eben Sammler. Na ja, auch Moses hat angeblich eine Probe von einer der zehn Plagen genommen. Jedenfalls gibt es ein Flascherl, in dem sich ein paar Milliliter davon befinden sollen. Ach, drei geschmolzene Hagelkörner? Nein, auf dem Etikett steht "Ägyptische Finsternis". Wieso sollte also der Fabrizio Plessi, der seit 15 Jahren auf Mallorca lebt, sich nicht einen Vorrat von jenem Blau anlegen, von dem er dort ständig umgeben ist? Und weil er offenbar maßloser ist als der Moses (tja, ein Künstler halt), hat er gleich drei riesige für Mallorca typische . . . ähm: "Behälter" mit so viel Blau abgefüllt, dass sie schon übergehen. Drei Plastikkübel voll mit Sangria? (Hm. Istder Sangria nicht rot ? Ja, doch wenn man den Eimer ex trinkt, ist man blau wie ein deutscher Tourist. Dann hat man das "Mallorca-Blau", den Vollrausch, intus.)

Keine Angst, so billig würde uns der Plessi eh nie abspeisen. Vielmehr hat er drei alte Fischerboote (aha: Boote) umgedreht, von denen alles so schön pittoresk abblättert und aus denen jetzt das Mittelmeer (simuliert durch azurblaues Licht) in die Galerie schwappt. Eins der Boote auf dem Trockenen, die sich an das Blau des Meeres bloß noch erinnern können, sondert zusätzlich den Sound Mallorcas ab. Da drunter hat sich natürlich kein grölender, rülpsender Germane mit seinen Bierdosen versteckt. Nein, man hört das Rauschen des Meeres. Plessis Symbolik ist diesmal weniger plakativ und wird auch nicht mit diesem wuchtigen Pathos vorgetragen, sondern quasi mit einem melancholischen Seufzer. Ein romantisches multimediales Seestück, dem der sentimentale Kitsch aber verdammt gut passt. Sensible Personen kriegen davon bestimmt eine "Da Summa is umma"-Depression.

Mario Mauroner Contemporary Art Vienna

(Weihburggasse 26), Fabrizio Plessi, bis 11. November

Di. – Fr.: 11 – 19 Uhr, Sa.: 11 – 16 Uhr

Die Realität wird wahr

Aufzählung (cai)"Raum Situation Wirklichkeit" – dieser Ausstellungstitel klingt ja wie die Kurzfassung vom Versuch mit Schrödingers Katze. (In einem Raum ist eine Katze in einer sehr ernsten Situation, aber die Wirklichkeit wird erst wahr, wenn einer nachschauen geht.) Die Objekte hier sind eindeutig real, man kann es nur nicht immer so recht glauben. Markus Wilfling hat doch glatt einen Sessel in die Länge gezogen wie einen Kaugummi. Oder eher wie ein Leintuch, mit dem sich Gefängnisausbrecher abseilen. Ach, hat er den Stuhl in Streifen geschnitten und zusammengeknotet? So ähnlich. Er hat ihn zerlegt und die Teile 2,67 Meter hoch aufgetürmt. Herrliche "Situationskomik". Doch was hat es zu bedeuten, wenn Manfred Erjautz eine mit Fell überzogene Schaufensterpuppe zerstückelt? Pelz ist Mord? Es heißt zumindest nicht, dass er unglücklich in die Schwester vom Yeti verknallt ist. Und vor Michael Kienzers geballter Ladung Gummi und Metall fragt man sich bloß noch: Warum tut jemand so was?

Galerie Steinek

(Eschenbachgasse 4), "Raum Situation Wirklichkeit"

bis 5. November, Di. – Fr.: 13 – 18 Uhr

Die Beschriftung der Welt

Aufzählung (cai)Gut, so saftig wie ein Rubens ist ein Gappmayr nicht . Das würde sich ja nicht einmal ein Sprachwissenschafter ins Schlafzimmer hängen. Was interessiert denn mich die Beschreibung (oder Beschriftung) der Welt? So kaltblütig sind die Sprachbilder freilich gar nicht. Wenn 1962 das Farbbandl der Schreibmaschine seine Farbe aushaucht und das Wort "sichtbar" im Weiß des Blattes versickert, ist das fast so poetisch wie "Wandrers Nachtlied" von Goethe. Gappmayrs letztes Werk vor seinem Tod im April hat der Lindner auch. Die Botschaft: "in diesem augenblick." Wieso? Was ist in diesem Augenblick? Ich vermute: die Gegenwart. Die ist ja immer da, wenn es wieder einmal jetzt ist.

Galerie Lindner

(Schmalzhofgasse 13), Heinz Gappmayr

bis 11. November, Di. – Fr.: 14 – 18 Uhr

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Printausgabe vom Mittwoch, 03. November 2010
Online seit: Dienstag, 02. November 2010 18:57:00

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