Salzburger Nachrichten am 22. Juni 2005 - Bereich: kultur
Videos: Die Rache der Kuratoren

MARTIN BEHR

N eulich auf der Biennale in Venedig: Menschen, die etwas verschämt, weil sehr zügig durch den linken Flügel im italienischen Pavillon schreiten. Hurtig von einem abgedunkelten Raum in die nächste schwarze Kammer. An den Schwellen gilt es, die von dicken, dunklen Vorhängen gebildete Barriere zu überwinden. Wer einem solchen "black cube" entflohen ist, blickt bestenfalls noch kurz auf eine Tafel, auf der zu lesen steht, was man soeben versäumt hat. Das ist Videokunst in (Groß-)Ausstellungen: bei Kuratoren stets sehr begehrt, vom Publikum gefürchtet.

O b geräumiger Kinosaal oder heimelige Wohnzimmeridylle, grindig-enge Pornofilmkabine oder funktionales Seelsorgezentrum, wo Super-8-Streifen von der vergangenen Lourdes-Pilgerreise gezeigt werden: Die Konsumation des bewegten Bildes findet üblicherweise in einer sitzenden Position statt.

Nicht so im Betriebssystem Kunst. Das Publikum der ohnehin meist überfrachteten Großausstellungen hat klaustrophobiefördernde Zimmer zu betreten, in denen Sitzgelegenheiten Mangelware sind oder überhaupt fehlen. Im Stehen, bei zunehmender Körperwärme-Entwicklung und einem eingeschränkten Sichtfeld, sind auch neueste Videoarbeiten von Willie Doherty nur ein fragwürdiger Kunstgenuss.

H andelt es sich um die Rache der Ausstellungsmacher an der Schar der Kunsttouristen, die folgsam Kassel, Basel, Berlin oder Venedig ansteuern? Erzeugt es eine diebische Freude, wenn die dem Publikum eigene "Ich will alles gesehen haben"-Erwartung durch das Präsentieren von Filmen mit einer Dauer von 56 oder 74 Minuten im regulären Ausstellungsprogramm enttäuscht wird? Die Fülle von Videokunst unter den derzeit üblichen Rezeptionsbedingungen trainiert den Gesehen-Vergessen-Reflex. Wer war das denn noch gleich? Sicher Candice Breitz. Egal. Schnell weiter. Der Pavillon ist groß, prall gefüllt mit Kunst und die Zeit ist knapp.

N icht selten entscheidet das erste wahrgenommene Bild: Bleibt man im Raum oder nicht? Gibt man dem Künstler, seinen Ideen und seinem Werk eine Chance oder dreht man ihm blitzartig den Rücken zu? Meist passiert das Zweite. Wer zehn Sekunden in der flimmernden Dunkelkammer verweilt, liegt schon über dem Schnitt.

Videoarbeiten sind (verweigerte) Happen im opulenten Kunstmenü. Das ist schade. Aber: Auch Kunstfreunde sind eben nur Menschen.