Die hohe Kunst der Repräsentation
Glitzerkunst. Groß, spektakulär und teuer. Gucci-Besitzer François Pinault zeigt im Palazzo Grassi Teile seiner Sammlung: „The World Belongs To You“.
MARTIN BEHR VENEDIG (SN). Vor fünf Jahren hat er den brachliegenden Palazzo Grassi als Ausstellungsort für Kunst neu eröffnet. Zeitgleich zur 54.Kunstbiennale in der Lagunenstadt präsentiert der französische Unternehmer François Pinault in dem repräsentativen Gebäude repräsentative Kunst aus eigenen Sammlungsbeständen. Die Ausstellung, die den Titel „The World Belongs To You“ trägt, vereint 40 Künstler, deren Arbeiten in der überwiegenden Mehrzahl großformatig, spektakulär und natürlich auch teuer sind. Die überaus perfekt präsentierte (Luxus-)Kunst wird so auch zu einem Psychogramm ihres Besitzers.Monumentales Spielzeug Im kleinen Atrium des spätbarocken Palasts am Ufer des Canal Grande empfängt ein auf Vaporetti und Gondeln blickender „Balloon Dog“ des amerikanischen Kitsch-Maestros Jeff Koons. Die in Magenta glitzernde Monumentalisierung eines Kinderspielzeugs eignet sich optimal zur Verdeutlichung eines Kunstgeschmacks, der nicht elitär, nicht puristisch sein will. Die Edelstahlskulptur ist ein auch in Konzernzentralen und Bankfoyers willkommenes Objekt, welches Juvenilität, Offenheit und natürlich wirtschaftliche Potenz ausstrahlt. Weiter in der Spielzeugparade: Krakenähnlich nimmt ein riesiges textiles Patchworkwesen vom gesamten Innenhof (samt Stufen) Besitz. „Contamination“ heißt die tolldreiste Rauminstallation der 30-jährigen, in Paris geborenen Künstlerin Joana Vasconcelos. Gern würde man auf den auf dem Boden liegenden bunten Greifarmen aus Stoff Platz nehmen und von der Kindheit träumen. Allein: Berühren und Fotografieren sind verboten.
Auf insgesamt vier Ebenen erstreckt sich die von Carolin Bourgeois kuratierte Sammlungspräsentation. Die in Grundsatztexten beschworene thematische Klammer der gezeigten Arbeiten? Kunst soll Denkräume für ein neues Verständnis einer zeitgenössischen Gesellschaft aufmachen können. Denkräume, die sich zwischen Ängsten und Hoffnungen, Gewalt und Vertrauen in die menschlichen Fähigkeiten bewegen. Eine der stimmigsten Arbeiten ist dabei die Messerinstallation „Life is beautiful“ des 48-jährigen Künstlers Farhad Moshiri aus dem Iran. Er hat 1242 Messer mit verschiedenen bunten Griffen in die weiße Wand gerammt. Die Schneidwerkzeuge bilden – noch dazu in lieblicher Schnörkelschreibschrift – den Titel der Arbeit, die auch auf den Sturz von Gesellschaftssystemen und Regimen anspielt.
Ironie und Sarkasmus spielen auch beim 58-jährigen Amerikaner Charles Ray eine Rolle, wenn dieser nackte Figuren einer vierköpfigen Familie in den Raum stellt und die Installation „Family Romance“ nennt. Vater und Mutter, Sohn und Tochter, so wie Gott sie schuf, schambehaart oder noch nicht, halten sich an den Händen. Irritierend, ja fast schon bedrohlich wirkend: Der Nachwuchs, noch mit Babyspeck und Kindergesichtern ausgestattet, ist nahezu gleich groß wie die Elternteile: 1,35 Meter. Die Kinder erscheinen wie aufgeblasene Gnome, die Eltern wie verunsicherte Zwergwesen. Einiges scheint hier aus dem Lot geraten zu sein: eine gehörige Störung der Familienidylle. Einige Arbeiten würden auch gut in das von Bice Curiger geprägte Biennale-Motto „ILLUMInations-ILLUMInazione“ passen: etwa Ito Barradas leuchtende Skulptur „Palm Sign“, ein fast schon Las-Vegas-taugliches Lampenobjekt, das einen Kommentar zu den Simulationstechniken unserer Gesellschaft abgibt. Apropos Simulation. Was in einem Raum wie eine Grafikansammlung von Raymond Pettibon aussieht, ist in Wahrheit eine Arbeit des Schweizers Urs Fischer. Er hat eine Bilderinstallation des Amerikaners einst abfotografiert und nun in Form einer Fototapete exakt dupliziert. Inklusive Schatten der Rahmen, versteht sich. Ein zeitgemäßes Trompe-l’oeil, das letztlich auch Fragen über Besitztum (von Kunst) und Urheberrechte stellt. Verblüffend einfach, einfach verblüffend. Vom Fake über die Wirklichkeit zur traurigen Realität inszenierter Kinderposen. Der 51-jährige Künstler Sergey Bratkov aus der Ukraine zeigt in seinen Fotografien, wie Eltern in seiner Heimat ihre Mädchen von Kindermodelagenturen ablichten lassen: grell geschminkt, viel nackte Haut, in eindeutigen Posen. Sie heißen Zhenya, Vera oder Alyona und ihnen wird allesamt die Kindheit, die Natürlichkeit geraubt. Bratkovs Fotos sind direkte, schonungslose Dokumente des Alltags sowie der Wünsche, Sehnsüchte und Projektionen nach dem Niedergang der Sowjetunion.Erzählung über das Glück Auffallend an der Ausstellung „The World Belongs To You“ sind der hohe Anteil an chinesischer Kunst (u. a. Sun Yuan & Peng Yu, Huang Yong Ping, Zang Huan) sowie die fast schon unterrepräsentierte Malerei. Starke, sinnliche Akzente in diesem klassischen Kunstmedium setzen die 58-jährige, in Südafrika geborene Marlene Dumas sowie Jonathan Wateridge mit seinen großformatigen Szenenausschnitten aus der vielfältigen Welt des Alltags.
Ungewöhnlich still, dafür aber umso sympathischer ist „The Algiers’ Sections of a Happy Moment“, eine Mischung aus Fotoprojektion und Video des 42-jährigen Belgiers David Claerbout. Der Flug einer Möwe, Männer bei ihren Tagträumen: Das ist der unspektakuläre Stoff eines Versuchs über die Langsamkeit, einer poetischen Erzählung über das Glück. Es stimmt milde, ja versöhnlich, dass sich der millionenschwere Gucci-Besitzer Pinault auch für so ein Kleinod interessiert. (Bis 31.12.)