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„Mahlzeit“: Das große Fressen

24.07.2009 | 18:35 | ALMUTH SPIEGLER (Die Presse)

„Mahlzeit“, wünscht die Galerie im Traklhaus rechtzeitig zu den Festspielen: eine nicht immer kulinarische Schau rund um Kunst und Essen.

Er war wohl der erste, wenn auch unbewusste Performancekünstler Österreichs, der mit Essen arbeitete: 1745 zum Leibarzt Maria Theresias berufen, kübelte Gerard van Swieten parallel zum Binge Eating der Kaiserin dieselben Speisen in einen Kübel neben ihrem goldenen Sesselchen. Und belehrte mit dieser wenig appetitlichen Aktion seine Herrscherin eines besseren, vernünftigeren Essverhaltens. Zumindest bis zum nächsten Gelage.

Der Arzt und Vampiraufklärer im Dienste Ihrer Majestät war übrigens der Vater von Mozarts Mäzen Gottfried van Swieten – womit wir schon in Salzburg wären, wo „Das große Fressen“ rund um die Festspiele dieses Wochenende beginnen kann. An Jedermanns morbider Tafel, in den noblen Gastgärten der Stadt und in der kleinen, feinen Landesgalerie im Traklhaus.

Dort findet auf allzu engem Raum die originellste Festspielausstellung dieser Saison statt – die sich um einiges ironischer am Mönchsberg, im Museum der Moderne, gemacht hätte, das in den letzten Jahren mehr für sein Restaurant bekannt war als für seine Ausstellungen, die mit Kiefer, Balkenhol, Baselitz und aktuell Tony Cragg eher wie ein erweiterter Showroom der Salzburger Galerie Ropac wirkten. Nächstes Jahr wird die Direktion wieder ausgeschrieben, der Vertrag von Toni Stooss läuft bis Ende 2010.

Ohne die beiden Big Player in Salzburg bittet aber auch die Traklhaus-Galerie nicht zu Tische – das Museum der Moderne und Ropac steuern u. a. zwei historische Referenzwerke bei, ein Stillleben von Herbert Boeckl mit Orangen und grünen Zitronen sowie ein Space-Pfirsich-Arrangement von Andy Warhol.

 

Biss in die Zwiebel

Den Hauptaugenschmaus bieten aber zeitgenössische Positionen, die Kuratorin und Galerieleiterin Dietgard Grimmer vorwiegend nach persönlichen Gelüsten, ohne (den unmöglichen) Anspruch auf Vollständigkeit oder auf einen großen theoretischen Überbau, ausgewählt hat. Gefeiert wird anhand der Werke von über 70 Künstlern vor allem die Vielfalt der Beschäftigung mit Lebensmitteln seit den 1960er-Jahren, ein altes Verhältnis, das 2007 durch die Einladung des spanischen Molekularkochs Ferran Adria bei der „documenta XII“ neue Würze bekommen hat.

Die bildenden Künstler gehen umgekehrt auch heute noch ähnlich deftig mit den Speisen um, wie es etwa die Aktionisten in ihren Materialschlachten taten, hier wird vorwiegend weiterhin die archaische Symbolik von Hausmannskost und Grundnahrungsmitteln ausgekostet. Hungrig sollte man jedenfalls nicht in die Ausstellung gehen, zu satt allerdings auch nicht, vor allem nicht, wer im hintersten, „aktionistischen“ Raum beginnt, wo sich etwa das Spitzentischtuch über dem Tisch als getrocknetes Schweinsnetz (Paul Renner) entpuppt und Hermann Nitsch sorgfältig das letzte Abendmahl bereitet hat.

Hier beißt auch Marina Abramovic in die Zwiebel, ihr wahrer Schmerz über eine halbe Stunde Verzehr der beißenden Dinger hätte aber das Video der Aktion wohl drastischer vermittelt als das Fotostandbild. Frauen und Früchte sind spätestens seit 1959, als Meret Oppenheim ihren Vernissagegästen das Essen am Körper einer nackten Frau servierte, ein kritischeres Verhältnis miteinander eingegangen, als es von Männern bislang, rein genießerisch, gezeigt wurde: Valie Export ließ sich 1976 die Frucht ihres Leibes, einen Laib Brot, von Passanten vom (bekleideten) Körper schneiden. Irene Andessner versüßte den Fetisch, indem sie sich 1993 den Schokolade-Stöckelschuh an ihrem Fuß von einem nackten Mann herunterknabbern ließ.

2008 verlor die Performancekünstlerin übrigens einen langjährigen Prozess mit der Konditorei Demel über das Urheberrecht an dem Schuhobjekt „39 ½“, das schließlich erst der Oberste Gerichtshof nicht als Kunst, sondern als Konfekt klassifizierte (als eine „rein handwerkliche, routinemäßige Leistung“). Eine Entscheidung, die übel aufstieß, Künstler aber zu mehr Copyrightvorsicht mahnen sollte.

 

Die Gurke aus dem Semmel-UFO

Eine derartige Nachlässigkeit würde dem im Umgang mit Firmen erprobten Ö-Star Erwin Wurm wohl nicht passieren: Obwohl, so ein hyperrealistisches Acryl-Gürkchen, das so partout nicht mehr als ein Gürkchen sein will ... die sauren Dinger sind wohl einer anderen Wurm-Edition entstiegen, den UFO-Wurstsemmeln, die er zuvor schon am Kunstmarkt landen ließ.

Fixstarter waren für Grimmer die fixierten Essenstische, die „Fallenbilder“ von Daniel Spoerri. Martin Kippenberger fehlt leider, dafür kommt eines seiner Lieblingsessen, Eier, umso öfter vor: Etwa in die rostige Pfanne gestickt von Severija Incirauskaite. Wer diesen litauischen Namen verdaut hat, kann sich auch den Anblick von Spargel am Ende der Nahrungskette zumuten, den Cornelius Kolig für uns konserviert hat. Essen als Vanitas-Symbol scheint in der Kunst kein Ablaufdatum zu haben: Dieter Roths Schokoladeplastiken überdauern dank kuratorischer Finesse genauso ihre natürliche Lebenszeit, wie es der eklige Pizzakarton tut, der wirkt, als hätte ihn Franz Bergmüller einfach am Fensterbrett der Galerie vergessen. Aber die Fliegen und die Wespen darauf tun nur so parasitär, sie sind längst tot, betrieben nur mehr durch ein Uhrwerk.


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