MUMOK: Die Arbeiten Martin Kippenbergers zeigen die unveränderte
Aktualität dieses Künstlers
Wenn Stillosigkeit zum Stil wird
Von Brigitte Borchhardt-Birbaumer
Die erste Retrospektive des Werkes von Martin Kippenberger
(1953 bis 1997) wird vom MUMOK (Kuratorin Susanne Neuburger) gemeinsam mit
dem Van Abbe-Museum in Eindhoven (Kuratorin Eva Meyer-Hermann)
veranstaltet (hier bis 31. August, dort vom 23. November bis 1. Februar
2004). Der Titel "Nach Kippenberger" meint neben der Nach-Ära des jung
verstorbenen Vertreters einer postkonzeptuellen Richtung, die sich bewusst
vieler Stilmittel undogmatisch bediente, den Weg "nach" (hin zu einem Ort,
den Kippenberger bespielte). Susanne Neuburger hatte schon 1991 unter
der Intendanz von Ursula Pasterk Kippenbergers Festwochen-Installation
"Tiefes Kehlchen" im Bautunnel der U 3 betreut, die damals wenig besucht
und auch seitens der Presse angefeindet wurde, heute aber als eines der
Hauptwerke des Künstlers gilt. In diesem Sinne wurden wesentliche Teile
für die Schau rekonstruiert (durch die Öffnung des Zobernig'schen Kubus
hindurch). Einen derart vielschichtigen Künstler zu präsentieren ist nicht
einfach, zumal Kippenberger nie erzieherisch wirken wollte und seine
exzessiven Auftritte als postmoderner Bohemien nun in historischer Distanz
mit einbezogen werden müssen. Die architektonische Anbindung aller Werke
wurde daher als ein Leitmotiv seiner Konzepte genützt; daneben die
intensive Auseinandersetzung mit dem eigenen Ich - allerdings auch im
Sinne einer kritischen Reaktion auf Kunst, Museen und Kunstmarkt wie
Kollegen (z. B. auf die mythische Figur von Beuys) mit "Jeder Künstler ist
ein Mensch". 25 Skulpturen wurden neben den wichtigsten Installationen
ausgewählt, dazu 50 Bilder, Zeichnungen, Fotos und Schriften, die beengte
Situation ist aber nicht störend, die Aufstellung schlüssig. Die seit 1985
wesentlich gewordnene Fotografie ist vor allem durch das Konzept der
späten Serie "Metro-Net World Connection" (1993 bis 1997), die allerdings
auch Zeichnungen und Modelle umfasst, und die auf der Brasilienreise
verwirklichte konzeptuelle Installation "Tankstelle Martin Bormann"
(Fotografin Ursula Böckler) vertreten. Dabei wird nicht nur die Geschichte
des vermissten Hiltler-Kumpanen in Form einer fiktiven brasilianischen
Tarnadresse angesprochen, sondern auch das Ende der Utopien des
internationalen Stils der Architektur, die sich gerade in diesem Land
besonders verwirklichte. Punkte, die schon in der Hamburger Ausstellung
Kippenbergers "Das Ende der Avantgarde" angesprochen wurden. Die
deutsch-österreichische Vergangenheit ist auch mit den bekannten Bildern
"Heil Hitler ihr Fetischisten" und "Ich kann beim besten Willen kein
Hakenkreuz entdecken" (beide 1984) Mittelpunkt einer Generation nach Polke
und Beuys. Teamwork ist dieser besonders wichtig - bei Kippenberger z. B.
mit Albert Oehlen oder Werner Büttner u. a. in "Capri bei Nacht". Dazu
kommen Auflösung der Gattungen, Wechsel vom Schauspieler, Dichter zum
bildenden Künstler, postkonzeptuelle Ansätze mit Aufträgen an andere - so
die Serie "Lieber Maler, male mir..." ausgeführt vom Plakatmaler Werner.
Weiters kritische Reflexionen auf Kunst und Kunstmarkt: Museums-, Büro-
und Vereinsgründungen, Verbindungen zu performativer Arbeit (so das "erste
Wiener Fiakerrennen" mit Oehlen), Betreuung von Lokalen mit Organisation
von Ausstellungen und Konzerten und ironisches Zelebrieren der eigenen
Geschichte. Alles das zeichnet Martin Kippenberger als typischen
Vertreter der Gegenration aus, die eine neue Phase der (Nach-)Moderne
einleitete - signalhaft dazu auch die Metallgondel
"Sozialkistentransporter" von 1989 (im MUMOK prominent situiert auf
Zobernigs weißem Würfel) oder die sich verbeugende "Documenta-Lampe", mit
der er sich selbst zur Documenta IX Jan Hoets 1992 eingeladen hatte,
nachdem er einen Beitrag zu der davor 1987 abgelehnt hatte. Auch seine
Gießharzskulptur "Martin, ab in die Ecke und schäm dich" und die
erbarmungslose Schilderung eigener Hinfälligkeit bestärken diese Haltung.
Mit dem Kommentar. "Ich kann mir nicht jeden Tag ein Ohr abschneiden" hat
er sich bereits ins Geschichtsbewusstsein der Kunst mit eingeschrieben.
Erschienen am: 22.07.2003 |
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