17.04.2003 19:07
Die Museumschefs als Kannibalen
Konkurrenzdruck und Budgetnöte haben Folgen: Analyse +
Kommentar
Peter Baum, Direktor der Neuen Galerie in Linz, blickt
mitunter neiderfüllt in die Bundeshauptstadt. Denn schon 1989 präsentierte er
just jene Sammlung der Druckgrafik von Toulouse-Lautrec, mit der nun das
Leopold- Museum reüssiert. Seiner Ausstellung in der "Provinz" aber war längst
nicht die gleiche oder gar eine höhere mediale Aufmerksamkeit zuteil
geworden.
Klaus Albrecht Schröder, Direktor der Albertina, ist sogar
verärgert. Weil eben just das Leopold-Museum, spezialisiert auf österreichische
Kunst vom Biedermeier bis in die Nachkriegszeit, den Pariser Bohemien in
samtig-verruchtem Ambiente zur Schau stellt.
Schröder nimmt es seinem
ehemaligen Widerpart, Direktor Rudolf Leopold, zwar nicht übel, dass dieser mit
einem "Schnellschuss" in die Domäne der Albertina (eben Grafik) einbricht. Aber
er hatte selbst Toulouse-Lautrec geplant gehabt. Nicht irgendeine
Wanderausstellung mit Reproduktionsware, sondern eine, die seinen Ansprüchen
genüge tut: Schröder will, wie er es mit Munch vorführte, die Wechselwirkungen
zwischen Grafik und Gemälde herausarbeiten, Stationen einer Bildwerdung vor
Augen führen.
Diese mühevolle Arbeit kann er sich nun bezüglich
Toulouse-Lautrec sparen: Eine Retrospektive würde das Publikum als billiges
Remake empfinden - und nicht kommen.
Schnäppchenjagd
Aber
Schröder braucht sich nicht so haben. Denn statt Toulouse-Lautrec bringt er
eben, wie er trotzig ankündigte, Piet Mondrian. Und diesen Wegbereiter der
Moderne hat er seiner Lieblingsrivalin, die seiner Meinung nach nur schnell
konsumierbare "Kunst-Quickies" anbiete, vor der Nase weggeschnappt: Ingried
Brugger, Direktorin des Kunstforums, hatte bereits seit geraumer Zeit mit Den
Haag über eine Mondrian- Schau verhandelt. Aber Schröder konnte prima Tauschware
anbieten, über die Brugger nicht verfügt.
Über eine noch bessere
Tauschware verfügt Wilfried Seipel, der Generaldirektor des Kunsthistorischen
Museums. Darunter einen Vermeer, eine ganz besondere Rarität. An dem Gemälde
"Die Malkunst" das nach Expertenmeinung im Haus gar nicht mehr transportiert
werden sollte, besteht höchstes Interesse. Derzeit ist das Werk in Madrid zu
Gast. Im Prado.
Im Sommer 2004 wird Seipel dafür mit einer echten
Sensation aufwarten können: Er zeigt Goya y Lucientes. Als Koproduktion mit
Berlin und dem Prado, der über den größten und besten Bestand
verfügt.
Das Nachsehen hatte Gerbert Frodl, der Direktor der
Österreichischen Galerie. Denn er verhandelte eine Dekade (!) lang über eine
Goya-Schau, die er eigentlich heuer zum 100-Jahr-Jubiläum seines Institutes
präsentieren wollte. Aber er hatte "nur" Franz Xaver Messerschmidt
anzubieten.
Frodl nimmt es gelassen. Nein, doch nicht ganz. Er will die
Konkurrenzierung unter den Wiener Museen, ganz besonders unter den Bundesmuseen,
Mitte Oktober bei einem dreitägigen Symposion erörtern
lassen.
Vielmarkenstrategie
Denn der Staat fährt ja
sozusagen eine Vielmarkenstrategie. Damit diese aber aufgeht, müssen sich die
Produkte irgendwie unterscheiden. In der gegenwärtigen Museumslandschaft erfolgt
eine Abgrenzung aber so gut wie nicht: Die Kunstmuseen beackern vornehmlich die
Felder der klassischen Moderne und der Gegenwartskunst.
Die wiederholt
vorgebrachte Kritik tangiert Bildungsministerin Elisabeth Gehrer aber nicht
wirklich: Man wollte, wie sie gegenüber der Presse sagte, mit der Ausgliederung
der Museen in autonome Anstalten öffentlichen Rechts auch den Wettbewerb unter
diesen forcieren. "Und den gibt es jetzt." Sie verstehe daher nicht, woher "die
Sehnsucht nach einer zentralen Steuerung der Museumslandschaft"
komme.
Von "Steuerung" war allerdings nie die Rede: Vorgeschlagen wurde
lediglich, für die Museen Profile zu entwickeln, die im Einklang mit der
Geschichte jedes Hauses stehen. Damit es unter dem budgetären Druck, unter dem
fast alle Direktoren stehen, nicht permanent zum gegenseitigen Zerfleischen
kommt.
Mit klassischer Moderne positionierte sich bekanntlich einst das
Kunstforum. Ingried Brugger geht der gegenwärtige "Kannibalismus" daher gehörig
auf die Nerven. Ganz besonders, wenn er von Klaus Albrecht Schröder praktiziert
wird.
Nicht weil Schröder einmal ihr Vorgesetzter und Ehemann war.
Sondern weil Schröder den "Kannibalismus" kritisierte, ihn aber nun in
Perfektion betreibt. Indem er fast alle Segmente zu den Kernkompetenzen der
Albertina erhob: Sein Programm umfasst Gegenwartskunst (Robert Longo),
klassische Moderne (Munch), Alte Meister (Rembrandt), Pop-Art, Architektur und
Fotografie. Sein Credo: Jeder muss selbst schauen, wo er
bleibt.
Freundschaftsakt
Von Kooperationen mit angeblich
befreundeten Unternehmen hingegen scheint Schröder nicht viel zu halten. Denn
Seipel fragte ihn, ob er nicht parallel zur Goya-Retrospektive das grafische
Werk des Spaniers zu präsentieren gedenke. Als Ergänzung quasi. Aber Schröder
lehnte ab, sagt Seipel. Weil es ihm nicht in sein Konzept passe. Denn es stimmt
zwar, dass die Albertina über gute Goyas verfügt. Aber Schröder hat die
Bestimmung "Graphische Sammlung" gestrichen. Und reine Grafikausstellungen
passen ja nicht mehr in sein Konzept. (DER STANDARD, Printausgabe,
18.4.2003)