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10.09.2002 12:50

"Anschluss" ist nur eine Frage des Internets
Das Symposion der Ars Electronica mit US-Analytiker und Visionär Jeremy Rifkin in der Hauptrolle

Globalisierung hin oder her, wer setzt die Standards für die Anschlussbedingungen? Im Verein mit Künstlern und Wissenschaftern versuchte man in alter Ars-Electronica-Tradition eine fächerübergreifende Diskussion aktueller gesellschaftsrelevanter Themen. Es blieb zuweilen eher bei Selbstdarstellungen. In der Hauptrolle: der US-amerikanische Wirtschaftsanalytiker und Visionär Jeremy Rifkin.

Ein Albtraum die Vorstellung: alle plugged, angeschlossen! Was sei so aufregend daran? Rifkins mit präzis einstudierten Gesten vorgetragene Symposionsrede ließ nichts aus. Wie viele ein Mobiltelefon hätten, fragte der "Futurist" und Autor ins Publikum. Wie viele einen Laptop, einen E-Mail-Zugang? Und: Wie viele Freizeit und Muße?

Andererseits konstatierte Rifkin, der zeitweilig die Thesen seines Buches The Age of Access wie ein TV-Prediger vermittelte, die größte Grenze zwischen den Menschen in der Geschichte: Den zunehmend tieferen "digitalen Graben" zwischen den Angeschlossenen und den nicht Angeschlossenen. Diese Differenz müsse sich ganz logisch ergeben, da man Information heute mit Lichtgeschwindigkeit weitergeben könne.



Oberstes Gut: Zeit

Die Änderung von den mit dieser Schnelligkeit nicht mehr mitkommenden Märkten in Netzwerke vollziehe sich jetzt. Als Beispiel führte Rifkin, in Personalunion als Systemkritiker wie auch Berater großer Firmen tätig, die Internetbuchhandelsfirma Amazon.com an, die für ihn letztlich lediglich mit neuen Mitteln den alten Markt verkörpere - und im Gegensatz dazu Napster. Der Besitz von Zeit werde wichtiger als tatsächlicher Besitz.

Jeremy Rifkin analysierte bereits bestehende Tendenzen in der Wirtschaft, zugleich "brillant und traurig". Microsoft oder Sony etwa erwerben "menschliche Geschichten" ("human stories"), und das sei besser als Kunst - "und sie verkaufen diese Geschichten an uns wieder weiter".

Er hielt ein Plädoyer für die Kultur, ohne die kein Land überleben könne, im Gegensatz zu Regierung und Wirtschaft. Als Beispiel diente ihm Italien, dessen kulturelle Identität immer schon die wirtschaftliche Identität überstiegen habe.

Dies zeigte im Rahmen des Ars-Electronica-Symposions am Montag etwa Keith Goddard von tonga.online anhand des Tonga-Volkes (Simbabwe), das trotz erzwungener Aussiedelung wegen eines Stauseebaues 1957 vor allem durch ihre höchst eigenständige Musik "überlebte", seine kulturelle Identität bewahrte.

Von der musikalischen Situation her gesehen sei Afrika, das im Fokus des heurigen Festivals steht, zugleich angeschlossen und abgeschottet, konstatierte der Organisator der "Urban Africa"-Musikreihe der Ars, Jay Rutledge. Die massenhaft auch über Raub-Kassetten verbreitete populäre Musik bliebe dem lokalen Markt vorbehalten. Die politischen Parolen der geladenen Hip-Hopper BMG44 und Pee Froiss aus Senegal blieben Sonntagabend dem Stadtwerkstatt-Publikum freilich verborgen.

Und da wäre man, wie bei jedem Symposion, wieder einmal bei der Begriffsdefinition. Afrika, sofern man einen riesigen Kontinent pauschal beurteilen könne, "war immer schon ,plugged' - zur Kultur, zur geistigen Welt", stellte der nigerianische Autor und Kurator Davis O. Nejo vehement dagegen: "Was ist das Internet? Einfach ein Werkzeug."

Fazit: Obwohl "Anschluss" nicht rein aufs Internet beschränkt sein soll, wären da andere Fragen zu klären, wie das der Ausbildungssysteme. Denn was nützt die tollste Vernetzung, wenn man überhaupt nicht lesen kann. Und dass man wegen privatisierungsbedingter Stromausfälle kurz in Dritte-Welt-Realitäten zurückfällt, zeigte das jüngste Beispiel Kalifornien. (DER STANDARD, Printausgabe, 10.9.2002)


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