Salzburger Nachrichten am 09. September 2002 - Bereich: kultur
Verwirklicht und erträumt

Die Architekturbiennale in Venedig versammelt theoretische Ansätze und Vorschläge für Realisierbares. Der utopische Aspekt fehlt nicht.

JANA WISNIEWSKI

Der Österreichische Beitrag zu "NEXT" der 8. Internationalen Architekturbiennale in Venedig heißt "INTEGRAZIONE - Denn der Wahnsinn braucht Methode". Er integriert in erster Linie Literatur, Philosophie, Zeichentheorie.

"Alles in Architektur" hatte schon Hans Hollein in jungen Jahren festgestellt, er blieb aber letztendlich doch bei Bau und Design, Stadtplanung und Eventarchitektur. Sein Nachfolger als Kommisar für die Bienale In Venedig,Dietmar Steiner, war immer schon dem Feld der Theorie und Kritik zuzuordnen. Er setzt diesen Anspruch "Alles ist Architektur" radikal um und landet damit im weiten Feld der Künste, von keinerlei Grenzen beengt.

"Architektur als Denkansatz, nicht als Beruf oder Stil" ist Steiners Vorgabe. Seine Wahl traf den bereits verstorbenen Architekturtheoretiker Jan Turnovsky, der unter anderem mit seinem Buch "Die Politik eines Mauervorsprungs" Literatur lieferte, die auch eine Nachfolgegeneration von Architekten noch begeistern kann. In dem ihm gewidmete Raum in Venedig finden sich Textblättern, zum Teil handgeschrieben, die im Pavillion als Textur wahrgenommen werden können, raumfüllend bis an die Decke.

Mit Heidulf Gerngross hat Steiner einen ewigen Experimentator Raum gegeben, der schon in den 80er Jahren gemeinsam mit seinem Partner als Gerngross/Richter für "Ästhetische Organisation" plä-dierte und kein Freund postmoderner Zitate war. Erstaunlicherweise erinnert aber sein Diskussionspavillon an das Haus Königseder bei Graz - gerade auch durch die Materialwahl -, welches damals als Gemeinschaftsprojekt doch sehr verblüffte.

Rainer Köberl zeichnet sich eher durch eine stille Widerspenstigkeit aus, die sich aber auch für praktische Resultate eignet. Er öffnete den Pavillon zum Garten hin, zum Wasser und hat ein wirklich bezauberndes Raumambiente geschaffen, mit vielerlei Bezügen - einen Raum unter Wasser, Büromöbel im Wasserbecken und E-Mail-Verkehr auf den Wänden.

Nelo Auer hat mit "tasting architecture" Raumerlebnis konzipiert, das aber erst als performatives Event genossen werden kann, wobei genießen durchaus auch mit essen zu tun hat.

Eigentlich hatten die Österreicher ja insgesamt sehr viel vor, temporäre und längerfristige Interventionen, die weit über den Österrechpavillon hinaus wirksam werden sollten und offenbar. So manche Vision versickerte im venezianischen Behördendschungel.

Zum vom Direktor der Architektur Biennale, Deyan Sudjic herausgegebenen Titel "Next" wollen sich natürlich auch alle sehr progressiv geben. Das führt im Pavillon der USA zu bemerkenswerten Planungsvisionen von Stararchitekten für ein neues World Trade Center. Im Israel-Pavillon nimmt die ausgegebene Devise zur Feier des Neujahrstages die Gestalt eines Fassadetraums an, der das Dahinter erst entwickeln will.

Der erste Eindruck in Venedig ist vielversprechend, die internationale Namensliste der teilnehmenden Architekten stützt sich auf Architekten, die durch Bautätigkeit bekannt wurden, auch wenn der Biennale Direktor ebenfalls ein Theoretiker ist.