Die Kuh, die vom Himmel fällt | |
Eine Reportage
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Selbst im toleranten Berlin standen die
Zeichen nicht gut. Schon Donnerstag Vormittag hatte sich eine
Radiokommentatorin gefragt, warum der Performance-Künstler Wolfgang Flatz
und nicht Flatsch heiße, wo er doch Kühe vom Himmel poltern lasse. Berlin
sah dem Event mit einer Mischung aus Verachtung und Gelassenheit entgegen.
Der 48-jährige, aus Vorarlberg gebürtige Künstler Wolfgang Flatz hatte
angekündigt, am Donnerstag um 21.00 Uhr eine tote Kuh aus einem Helikopter
über dem Areal des Kulturhauses "Brotfabrik" abwerfen zu lassen. Er selbst
würde an einem Kran hängen, und aus sich selbst zugefügten Wunden würde
Blut auf vier darunter tanzende Paare tropfen.
20.45 Uhr: An einer Straßenkreuzung der Prenzlauer Allee, dort,
wo der Szene-Bezirk trendy zu werden verspricht, haben sich vorwiegend
junge Leute versammelt: Ort des Geschehens ist eine Baulücke. Die Leute
sitzen auf dem Bauzaun, auf der Friedhofsmauer auf der gegenüberliegenden
Seite, vor einer Tankstelle oder stehen dicht an dicht auf der anderen
Seite, wo ein Park zum Prenzlauer Berg ansteigt. Pfiffe ertönen, als die
Polizei die kurzfristigen Dachbewohner auffordert, herunterzusteigen, weil
Einsturzgefahr drohe. 21.00 Uhr, nichts tut sich außer tutender Handys, mittels derer
die geduldig Harrenden ihre Freunde zum Ort des Spektakels dirigieren
("Was, ich? Prenzlauer. Die wollen da 'ne Kuh fliegen lassen."). Immerhin,
die erste Straßenkreuzung der Welt, an der ein Rind abgeworfen wird.
Tierschützer haben sich mit Transparenten und Flugzetteln versammelt:
"Kulturskandal in Berlin" liest man, und: "Perversität gegenüber Tieren
kennt keine Grenzen". Kurz nach neun: "Uh, der Kran bewegt sich!", ruft einer. Tatsächlich,
aber dann passiert wieder nichts. Ein eigenartiges Spektakel: Die Arena
ist eingezäunt, nur mittels Klimmzügen kann man über den Bauzaun sehen.
Doch Brot und Spiele locken die Berliner an: In diesem Fall ist es totes
Fleisch über der ehemaligen Brotfabrik. Zum Wochenende wird es wiederum um totes Fleisch gehen: Da werden
nämlich die "Körperwelten" die Multiplikatorwirkung der Loveparade nutzen
und mit zehn ausgestopften Leichen auf einem LKW für ihre derzeit in
Berlin gastierende Schau werben. Immerhin, das mediale Lauffeuer der
letzten Tage hat funktioniert: Es sieht aus wie vor einem Konzert.
Um 21.15 Uhr bewegt sich der Kran ein Stück über dem Neubau
hinter dem Baugrund, mehr nicht. Erste Pfiffe fegen über die Köpfe,
gleichzeitig bricht das Dach eines Bauwagens ein, das einige erklommen
haben. Dennoch harren sie auf der ab jetzt schiefen Ebene aus. Vor einem
Balkon eines Rohbaus hinter der Baulücke ist eine Leinwand gespannt.
Hämmernde Rhythmen aus Lautsprechern auf der Baustelle setzen ein, das
Standbild des blutüberströmten Kopfes des Künstlers zuckt über die
Leinwand. Um 21.45 Uhr schwenkt der Kranarm über den Rohbau, aus einem
sich rot färbenden Leintuch-Kokon, der am Ausleger hängt, schält sich der
Künstler und breitet die Arme aus, gleichzeitig tuckert ein Hubschrauber
heran. An einem schwarzen Seil hängt der Tierkadaver, über der Baulücke
klinkt er aus, mit einem dumpfen Plumps fällt der Körper zu Boden, eine
Feuerkugel und eine Rauchschwade steigen auf. Buhrufe ertönen. "He, ich
will noch mehr Kühe", ruft einer vorne. Fetzen des Donauwalzers erklingen,
die meisten bleiben stehen, vielleicht gibt es tatsächlich noch eine
Kuh?
"Meine Erwartungen wurden erfüllt: Es ist eine Kuh vom Himmel
gefallen", sagt einer der Besucher. Und seine Nachbarin antwortet auf die
Frage, wie es ihr gefallen habe: "Kurz und schmerzlos." Offenbar zählt der
olympische Gedanke des Dabeigewesenseins. Es hilft nichts, die Performance
ist vorbei. 22.00 Uhr, Zeitpunkt der Pressekonferenz. Vor dem Eingang der
Backfabrik wogt es hin und her. Fans? Journalisten. Drinnen, im Rohbau,
erhält man ein Bändchen und fühlt sich damit wie ein
All-Inclusive-Urlauber in der Karibik. In der Nähe werden Rostbratwürste
und Nackensteak angeboten, für jene, die auf den Geschmack gekommen sind.
Über eine dunkle Fluchttreppe geht es ein paar Stockwerke höher, in Räume,
wo schon Laminatboden verlegt und es hell ist - in die Ausstellung
"Fleisch" von Wolfgang Flatz. An der Wand hängen eingesackte Fleischfilets
und Bilder von durchbohrten Händen des Künstlers. Mädchen verteilen
Zigaretten, man kann sich am Hanfbier bedienen oder an einem angeblich
Flügel verleihenden Erfrischungsgetränk. Aus den Schallschutzfenstern sieht man hinunter auf die Baulücke: Die
sterblichen Überreste der Kuh sind schon beseitigt, hinter dem Bauzaun
verlaufen sich die Leute, lediglich ein paar Polizeiautos warten
beharrlich, und die ersten Reinigungsfahrzeuge schieben sich über den
Teppich aus Bierflaschen und -dosen. Drinnen bilden die Kameras einen
Halbkreis um ein Podium, hinter dem das Porträt des blutüberströmten
Künstlerkopfes hängt. Gut 100 Leute drängen sich, auch der
österreich-stämmige Wirt einer Berliner Kaffeehauskette ist da, ein
Szene-Treffen also. Der Maestro leckt offenbar noch seine Wunden. "Ich
wollte daheim gemütlich vor dem Fernseher sitzen", murrt ein
Kamera-Assistent. "Und das mir als Vegetarier!" Fotografen und
Radioreporter haben sich vor den Kameras auf den Boden gehockt, es hat
etwas von Kindergeburtstag, wenn "Häschen in der Grube" gespielt wird. Dann erscheint er, setzt sich auf den Tisch vor dem Podium: Schwarzes
T-Shirt und Trainingshose, Silberschmuck, Sonnenbrille, keine auffälligen
Verwundungen. Ein wenig Diva in der Haltung. Das sei kein Tier gewesen,
sondern ein Kadaver, wehrt Flatz gleich die erste Frage ab. Außerdem müsse
er nicht "zum 150. Mal" seine Überlegung kundtun, warum er das getan habe.
Und tut es dann doch: Das Fleisch habe für ihn drei Bedeutungen: die
sexuelle, die kulturelle Überformung durch das Christentum und den Umgang
mit der Natur. Fast zwei Millionen Schilling habe ihn diese Veranstaltung
gekostet, sagt Flatz. Nicht einmal eine Viertelmillion habe er über
Sponsoren aufgetrieben. Die Fleischindustrie wäre zur Gänze dagegen
gewesen. Kunststück, bei diesem Kunststück. Auch die Stadt Berlin habe ihm
Prügel zwischen die Füße geworfen, klagt der Meister. Die nächsten Aktionen? "Eine große internationale Performance-Reihe und
eine Welttournee mit der Band", sagt Flatz und nennt Frankfurt, München,
Stuttgart und Kapstadt. Nach jeder Antwort schaut er ein wenig
triumphierend in die Runde. War es ein Erfolg? "Für mich ist es ein
Erfolg, wenn die Arbeit geglückt ist. Wenn es kein Erfolg ist, wären Sie
nicht hier." 22.45 Uhr, mehr kann eigentlich nicht mehr kommen. Das denken
sich eigentlich alle und wenden sich wieder Brot und Spielen, Hanfbier und
Zigaretten, zu. Mehr dazu in ORF
ON Vorarlberg. | ||||||||