Die Kuh, die vom Himmel fällt

Eine Reportage
von Stefan May/APA.


Selbst im toleranten Berlin standen die Zeichen nicht gut. Schon Donnerstag Vormittag hatte sich eine Radiokommentatorin gefragt, warum der Performance-Künstler Wolfgang Flatz und nicht Flatsch heiße, wo er doch Kühe vom Himmel poltern lasse. Berlin sah dem Event mit einer Mischung aus Verachtung und Gelassenheit entgegen. Der 48-jährige, aus Vorarlberg gebürtige Künstler Wolfgang Flatz hatte angekündigt, am Donnerstag um 21.00 Uhr eine tote Kuh aus einem Helikopter über dem Areal des Kulturhauses "Brotfabrik" abwerfen zu lassen. Er selbst würde an einem Kran hängen, und aus sich selbst zugefügten Wunden würde Blut auf vier darunter tanzende Paare tropfen.

Flatz
Flatz

20.45 Uhr: An einer Straßenkreuzung der Prenzlauer Allee, dort, wo der Szene-Bezirk trendy zu werden verspricht, haben sich vorwiegend junge Leute versammelt: Ort des Geschehens ist eine Baulücke. Die Leute sitzen auf dem Bauzaun, auf der Friedhofsmauer auf der gegenüberliegenden Seite, vor einer Tankstelle oder stehen dicht an dicht auf der anderen Seite, wo ein Park zum Prenzlauer Berg ansteigt. Pfiffe ertönen, als die Polizei die kurzfristigen Dachbewohner auffordert, herunterzusteigen, weil Einsturzgefahr drohe.

21.00 Uhr, nichts tut sich außer tutender Handys, mittels derer die geduldig Harrenden ihre Freunde zum Ort des Spektakels dirigieren ("Was, ich? Prenzlauer. Die wollen da 'ne Kuh fliegen lassen."). Immerhin, die erste Straßenkreuzung der Welt, an der ein Rind abgeworfen wird. Tierschützer haben sich mit Transparenten und Flugzetteln versammelt: "Kulturskandal in Berlin" liest man, und: "Perversität gegenüber Tieren kennt keine Grenzen".

Kurz nach neun: "Uh, der Kran bewegt sich!", ruft einer. Tatsächlich, aber dann passiert wieder nichts. Ein eigenartiges Spektakel: Die Arena ist eingezäunt, nur mittels Klimmzügen kann man über den Bauzaun sehen. Doch Brot und Spiele locken die Berliner an: In diesem Fall ist es totes Fleisch über der ehemaligen Brotfabrik.

Zum Wochenende wird es wiederum um totes Fleisch gehen: Da werden nämlich die "Körperwelten" die Multiplikatorwirkung der Loveparade nutzen und mit zehn ausgestopften Leichen auf einem LKW für ihre derzeit in Berlin gastierende Schau werben. Immerhin, das mediale Lauffeuer der letzten Tage hat funktioniert: Es sieht aus wie vor einem Konzert.

"Fleisch" / ©Bild: APA

Um 21.15 Uhr bewegt sich der Kran ein Stück über dem Neubau hinter dem Baugrund, mehr nicht. Erste Pfiffe fegen über die Köpfe, gleichzeitig bricht das Dach eines Bauwagens ein, das einige erklommen haben. Dennoch harren sie auf der ab jetzt schiefen Ebene aus. Vor einem Balkon eines Rohbaus hinter der Baulücke ist eine Leinwand gespannt. Hämmernde Rhythmen aus Lautsprechern auf der Baustelle setzen ein, das Standbild des blutüberströmten Kopfes des Künstlers zuckt über die Leinwand.

Um 21.45 Uhr schwenkt der Kranarm über den Rohbau, aus einem sich rot färbenden Leintuch-Kokon, der am Ausleger hängt, schält sich der Künstler und breitet die Arme aus, gleichzeitig tuckert ein Hubschrauber heran. An einem schwarzen Seil hängt der Tierkadaver, über der Baulücke klinkt er aus, mit einem dumpfen Plumps fällt der Körper zu Boden, eine Feuerkugel und eine Rauchschwade steigen auf. Buhrufe ertönen. "He, ich will noch mehr Kühe", ruft einer vorne. Fetzen des Donauwalzers erklingen, die meisten bleiben stehen, vielleicht gibt es tatsächlich noch eine Kuh?

Abwurf der Kuh / ©Bild: APA
Abwurf der Kuh / ©Bild: APA

"Meine Erwartungen wurden erfüllt: Es ist eine Kuh vom Himmel gefallen", sagt einer der Besucher. Und seine Nachbarin antwortet auf die Frage, wie es ihr gefallen habe: "Kurz und schmerzlos." Offenbar zählt der olympische Gedanke des Dabeigewesenseins. Es hilft nichts, die Performance ist vorbei.

22.00 Uhr, Zeitpunkt der Pressekonferenz. Vor dem Eingang der Backfabrik wogt es hin und her. Fans? Journalisten. Drinnen, im Rohbau, erhält man ein Bändchen und fühlt sich damit wie ein All-Inclusive-Urlauber in der Karibik. In der Nähe werden Rostbratwürste und Nackensteak angeboten, für jene, die auf den Geschmack gekommen sind. Über eine dunkle Fluchttreppe geht es ein paar Stockwerke höher, in Räume, wo schon Laminatboden verlegt und es hell ist - in die Ausstellung "Fleisch" von Wolfgang Flatz. An der Wand hängen eingesackte Fleischfilets und Bilder von durchbohrten Händen des Künstlers. Mädchen verteilen Zigaretten, man kann sich am Hanfbier bedienen oder an einem angeblich Flügel verleihenden Erfrischungsgetränk.

Aus den Schallschutzfenstern sieht man hinunter auf die Baulücke: Die sterblichen Überreste der Kuh sind schon beseitigt, hinter dem Bauzaun verlaufen sich die Leute, lediglich ein paar Polizeiautos warten beharrlich, und die ersten Reinigungsfahrzeuge schieben sich über den Teppich aus Bierflaschen und -dosen. Drinnen bilden die Kameras einen Halbkreis um ein Podium, hinter dem das Porträt des blutüberströmten Künstlerkopfes hängt. Gut 100 Leute drängen sich, auch der österreich-stämmige Wirt einer Berliner Kaffeehauskette ist da, ein Szene-Treffen also. Der Maestro leckt offenbar noch seine Wunden. "Ich wollte daheim gemütlich vor dem Fernseher sitzen", murrt ein Kamera-Assistent. "Und das mir als Vegetarier!" Fotografen und Radioreporter haben sich vor den Kameras auf den Boden gehockt, es hat etwas von Kindergeburtstag, wenn "Häschen in der Grube" gespielt wird.

Dann erscheint er, setzt sich auf den Tisch vor dem Podium: Schwarzes T-Shirt und Trainingshose, Silberschmuck, Sonnenbrille, keine auffälligen Verwundungen. Ein wenig Diva in der Haltung. Das sei kein Tier gewesen, sondern ein Kadaver, wehrt Flatz gleich die erste Frage ab. Außerdem müsse er nicht "zum 150. Mal" seine Überlegung kundtun, warum er das getan habe. Und tut es dann doch: Das Fleisch habe für ihn drei Bedeutungen: die sexuelle, die kulturelle Überformung durch das Christentum und den Umgang mit der Natur. Fast zwei Millionen Schilling habe ihn diese Veranstaltung gekostet, sagt Flatz. Nicht einmal eine Viertelmillion habe er über Sponsoren aufgetrieben. Die Fleischindustrie wäre zur Gänze dagegen gewesen. Kunststück, bei diesem Kunststück. Auch die Stadt Berlin habe ihm Prügel zwischen die Füße geworfen, klagt der Meister.

Die nächsten Aktionen? "Eine große internationale Performance-Reihe und eine Welttournee mit der Band", sagt Flatz und nennt Frankfurt, München, Stuttgart und Kapstadt. Nach jeder Antwort schaut er ein wenig triumphierend in die Runde. War es ein Erfolg? "Für mich ist es ein Erfolg, wenn die Arbeit geglückt ist. Wenn es kein Erfolg ist, wären Sie nicht hier."

22.45 Uhr, mehr kann eigentlich nicht mehr kommen. Das denken sich eigentlich alle und wenden sich wieder Brot und Spielen, Hanfbier und Zigaretten, zu.

Mehr dazu in ORF ON Vorarlberg.

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