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10.02.2006 - Kultur&Medien / Ausstellung
Arco in Madrid: Mur-Steg zum Super-Ego
VON ALMUTH SPIEGLER
Madrid. Österreich ist Gastland bei der Arco und präsentiert sich als Kunst-Nation.

Eigentlich müssten die Madrilenen ziemlich enttäuscht sein. Schließlich ist der einzige österreichische Künstler, der bei einer kleinen Straßenumfrage einer ORF-Journalistin ausnahmslos allen spontan eingefallen ist, im "Austria at Arco"-Programm nicht vertreten. Die Albertina musste ihre ursprünglich zu dieser Zeit in Madrid geplante Schiele-Ausstellung im Hinblick auf die wohl absehbar nicht sonderlich positive Reaktion des Denkmalamts wieder abblasen. Schicksal als Chance sozusagen für die zeitgenössische österreichische Kunst. Diese konnte sich jetzt im Umfeld der Einladung Österreichs als Gastland auf der 25. Kunstmesse Arco ohne Konkurrenz der Altvorderen in den Madrider Ausstellungsorten ausbreiten. Und das tat sie - mit einer staatlichen Unterstützung von 500.000 € - recht anständig.

Auf der Jubiläumsmesse haben 22 österreichische Galerien ihre Mini-Kojen bezogen (die "Presse" berichtet am Montag im Kunstmarkt), in der Stadt ein halbes Dutzend Österreich-Ausstellungen eröffnet, an 20 Abenden wurden 40 österreichische Filmemacher vorgestellt, drei Tanz-Performances abgehalten und ein eigens kuratierter Überblick über die (vor allem elektronische) austriakische Musikszene geboten. Damit liegen wir, laut der gastlanderprobten Kuratorin der Region Madrid, im guten Schnitt der sonst üblichen Länderpräsentationen. Schämen brauchen wir uns also nicht. Vor allem nicht bezüglich der Qualität - lässt man einmal den nicht beeinflussbaren Beitrag der neuen Reina-Sofia-Direktorin, eine Retrospektive des in Spanien heimisch gewordenen und 2004 verstorbenen gebürtigen Österreichers Adolfo Schlosser, außen vor. Von seinen (Wiener) Op-Art-Anfängen Anfang der 70er Jahre gelangte dieser in Spanien rasch zu einer dekorativen Arte-Povera-Ästhetik, die sich immer mehr Richtung schmucker Ready-Made-Feinarbeit entwickelte, verschnörkeltes und gefälliges Natur-Design sozusagen.

Dass Österreich im Gestalten heute ein bisschen mehr drauf hat, zeigt die zwar rechtzeitig, aber etwas abgelegen in Madrid stationierte Design-Wander-Werbe-Schau von Eichinger oder Knechtl. Einen seltenen Heimbesuch absolvierte diese vor allem praktikable Präsentation vergangenes Jahr im Wiener MAK. Ebenfalls bekannt sind auch die Grazer Kunstbotschafter: die leicht geschrumpfte, dadurch aber nicht weniger pulsierende Gruppenschau "Postmediale Kondition" der Neuen Galerie Graz sowie die konzeptuelle, sozialkritische Fotografie von Bitter/Weber (Camera Austria). Den Programmschwerpunkt Neue Medien vervollständigt "Digital Transit", zusammengestellt aus dem Fundus der Ars Electronica. Mit 3-D-Brille und Fernsteuerung kann hier unter anderem durch Peter Koglers Ameisen-Röhren gerast oder vor einem visuellen Sound-Teppich von Kurt Hengstschläger meditiert werden. Wie so oft bleibt insgesamt aber ein schaler Nachgeschmack - außer dass in spielerischer Form gezeigt wird, was Computertechnik alles kann, bleibt inhaltlich ernüchternd wenig über.

Technik perfekt ins analoge Bild gesetzt hat dagegen Fotografin Margeritha Spiluttini. Anhand ihres vom Architekturzentrum Wien in Madrid aufgeschlagenen "Atlas Austria" wird noch dazu ein breiter Überblick über die moderne österreichische Architektur ermöglicht: von Domenigs Steinhaus und der Zaha-Hadid-Schanze in Innsbruck bis zur Mur-Steg-Brücke oder dem Parkhotel Hall in Tirol.

Als architektonisch äußerst reizvoll entpuppt sich auch der ehemalige Wasserturm im Verwaltungsgelände der Kommune Madrid, den Mumok-Direktor Edelbert Köb bis unter die Dachkuppel mit Objekten, Fotografien und Videos von Erwin Wurm füllte. "The Idiot" heißt der kleine Werkeinblick, bei dem man sich durch Ausführung von Wurms One-Minute-Sculpture-Anweisungen auch selbst zum liebenswerten Idioten machen darf. Wann denkt man schon, den Kopf auf ein weißes Podest gelegt, hinterm Ohr eine Putzmittelflasche balancierend, über seine Verdauung nach?

Nachdenken sollte man auch im so genannten "Brennenden Haus", einer Art Nobel-WUK, in dem Leo Schatzl und Prinzgau/
Podgorschek räumlich interveniert haben. Nur weiß man nicht wirklich, worüber. Meist ohne unterstützende Beschriftung steht man etwas ratlos vor einem mit Vogelfutter-Bällchen behängten Metalldraht-Globus auf der Dachterrasse, einem aus Karton gebastelten Militär-Fahrzeug am Gang und streift neugierig vorbei an von der Decke hängenden, geheimnisvollen Papierbahnen.

Wilder ging es da im Wien der 70er Jahre zu, in einem Atelier in der Mariahilfer Straße, wo Arnulf Rainer sich regelmäßig nächtliche künstlerische Konkurrenzgefechte mit seinem Dieter Roth lieferte. Die teils komischen, teils brutalen, immer aber fast greifbar spannungsreichen Ergebnisse des Zusammenpralls dieser beiden "Super-Ego-Künstler" ([*] Kurator Robert Fleck, Direktor der Hamburger Deichtorhallen) sind wohl das Highlight der Österreich-Präsentation in Madrid. Seit 20 Jahren (einer Ausstellung Otto Breichas in Graz) waren diese Zeichnungen und Collagen nicht mehr zu sehen. Insgesamt entstanden ca. 700 davon - während Roth seine alle verkaufte, behielt Rainer seinen Teil vollständig im Archiv. Beide Handschriften, Rainers gestische und Roths geschlossenere, rundere, sind teilweise recht gut auseinander zu halten. Interessant etwa, wenn sich beide am gleichen frühen Picasso-Motiv abarbeiten: Roth löst die Vorlage karikierend zu einem "späten" Picasso auf. Rainer dagegen bleibt in seiner Version fast akademisch. Und irgendwann 1977 schreibt dann einer auf ein schwarz zugestricheltes und kräftig rot und blau zugepinseltes Bild: "Meine Tochter, was verschmierst du so rot dein Gesicht? Siehst Vater, den Roth und Rainer nicht?" Wer etwas davon sehen will, dem wird das Reisen allerdings nicht erspart bleiben: Nach Madrid wandert die Ausstellung in Flecks Deichtorhallen.

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