Menschsein durch Träume

"Wer die zeitlosen Geschichten gut weitererzählen will, muss vor allem lernen, gut zuzuhören", so Sergius Golowin.


"Der Mensch ermöglicht sich durch seine Träume das Menschsein", erklärt der Schweizer Mythenforscher Sergius Golowin. Dieser Geist wirke als treibende und gestalterische Kraft bis in unsere Gegenwart.

Golowin wird am Montagabend im Rahmen der Fotoausstellung "Schweizer zu Hause" von Doris Flubacher einen Vortrag mit dem Titel "Alpenraum - Heimatland der Phantasie" in der Wiener Galerie Atrium ed Arte halten. Die Veranstaltung findet im Rahmen der Kultur-Präsentation Schweiz in Österreich (CHinA), statt.

Gemeinsame Mythenwelt

Für den aus Prag stammenden Wissenschaftler verbindet die Sagen- und Mythenwelt des Alpenlandes Österreich und die Schweiz. Er rückt in seiner Arbeit vor allem die Überlieferung jener ins Zentrum, die am Rande der Gesellschaft leben.

Sergius Golowin selbst war schon als Kind "fast ein alpenländischer Harry Potter" - als Dichter, Mythensammler, Vertreter eines alternativen Geschichtsbildes und als Mitbegründer des "phantastischen Realismus".

Von der Großmutter lernen

1930 in Prag geboren, kam Golowin als Dreijähriger nach Bern. Hier war das Heimatland seiner Mutter Alla von Steiger, einer Dichterin und Slawistin. Von seiner Großmutter, die aus dem ostslawischen Wolhynien und Woronesch stammte, lernte er den Sinn in den mündlichen Überlieferungen zu erkennen. Bei Flüchtlingen und zu Städtern gewordenen ländlichen Volksgruppen fand er übereinstimmende Reste von Sagen und urtümlichen Volksglauben.

Mythensammler mit 16

Bereits mit 16 Jahren begann Golowin, Überlieferungen zu sammeln. Von 1950 bis 1967 war er Bibliothekar in Bern und Burgdorf. In dieser Zeit versuchte er, auch schriftliche Zeugnisse der Geschichten seiner Kindheit aufzufinden. Er widmete sich den Sagen inzwischen fast verschwundener Berufsgruppen wie der Hirten, Köhler, Baderinnen und dem besonders verfolgten "fahrenden Volk".

Zusammen mit Freunden, wie bereits 1951 mit dem österreichischen Dichter H. C. Artmann, wurde Golowin zum Begründer von Arbeitsgruppen, die den Wurzeln der Erzählkunst nachgingen. Von 1971 bis 1981 engagierte sich Sergius Golowin als Mitglied des Berner Grossen Rates für eine aufgeschlossene alpenländische Kulturpolitik.

Ehrung durch Dürrenmatt

"Sein Herz gehört den Vogelfreien unseres Rechtsstaates. Er sucht Gerechtigkeit für jene, die für uns immer Unrecht haben", sagte Friedrich Dürrenmatt über den Wissenschaftler anlässlich der Weiterleitung seines Literaturpreises des Standes Bern an Golowin.

Preis der Schiller-Stiftung

1974 wurde Golowin mit dem Preis der schweizerischen Schillerstiftung für seine Verdienste um die Volkskunde sowie die Kulturen am Rande der Gesellschaft ausgezeichnet. Golowin lebt als freier Schriftsteller in Allmendingen im Aaretal bei Bern.

Tipp

"Alpenraum - Heimatland der Phantasie", Vortrag von Sergius Golowin, 14. Jänner, 19.00 Uhr, Galerie "Atrium ed Arte", 1070, Lerchenfelderstraße 31, Telefon: 01/522-87-38.

Ö1, Menschenbilder, "Im Reich des Schamanen" - Der Mythenforscher Sergius Golowin", Sonntag, 20. Jänner, 14.15 Uhr.

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