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Sammlung Essl: Georg Baselitz/"Im Walde von Blainville"

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Löcher sind das Allerletzte

Von Claudia Aigner

Debattieren Sie mit!Was müsste passieren, damit die Mona Lisa urplötzlich mit dem Scheitel nach unten und dem Lächeln nach oben im Louvre hängt? Der Museumswärter müsste ein eingefleischter Baselitz-Fan sein (auch wenn diese Hommage an Georg Baselitz wohl seine letzte Tat im Louvre gewesen sein dürfte). Anders gesagt: Bei Georg Baselitz (der bei seiner Geburt 1938 noch ein gewisser Hans-Georg Kern aus dem sächsischen Deutschbaselitz war) tritt die paradoxe Situation ein: Wenn man seine Bilder "richtig" aufhängt, dann hängen sie für den Hausverstand verkehrt herum. Die Welt ist bei ihm nämlich seit dem Jahr der Mondlandung (von uns nördlichen Erdhalbkuglern aus gesehen) sehr "australisch".
Das ist auch in den allerneuesten Arbeiten so, wo die Motive mitunter auch bloß um 90 Grad gedreht sind und die bis 28. Jänner 2001 in der Sammlung Essl in Klosterneuburg hängen. Für Baselitzer Verhältnisse sind sie ja erstaunlich luftig und duftig, fast schon schockierend sensibel. Ist Baselitz jetzt also ein seriöser "Wilder" geworden? Nicht einmal seine Schuhe sind ja dreckig. Vielleicht versteht er es deshalb so wunderbar, sich künstlerisch auf das letzte Werk von Marcel Duchamp einzulassen, des Meisters der Pissoirmuschel, der es gewagt hatte, ein Urinoir zum Kunstwerk zu erklären, bei dessen letztem Werk, an dem er geheimniskrämerisch herumgebastelt hat, die Kunstwelt freilich das blanke Entsetzten gepackt haben dürfte (weil da der Revoluzzer plötzlich "lieb" geworden ist): Durch zwei Gucklöcher in einer Tür sieht man (vergleichbar einem Schaukasten mit einer Neandertalerfamilie in einem naturgeschichtlichen Museum) eine liebevoll arrangierte, grausig kitschige Szenerie. So etwas wie eine perverse "Sexualverbrechens-Peepshow". So schaut das Opfer einer Vergewaltigung im günstigsten Fall aus. Es liegt also zwar mit gespreizten Beinen herum, aber in einer absolut romantischen Landschaft, und es hält mit letzter Kraft eine Gaslampe in die Höhe (heute würde es ja vermutlich eine unverwüstliche "MagLite"-Taschenlampe sein), damit eventuelle Suchmannschaften es leichter finden. Quasi das letzte "Ätsch!" von Marcel Duchamp. (Ätsch, ich bin gar nicht so intellektuell, wie ihr alle gedacht habt!)
Baselitz hat es nun das letzte Loch von Duchamp angetan (einerseits jenes in der Tür, andererseits die pornografisch am besten einsetzbare Stelle des Vergewaltigungsopfers). Bei Baselitz vergnügt sich Duchamp mehrmals mit einem Wiener Stubenmädel, bei dem besagte pornografische Stelle, das "Josefine-Mutzenbacher-Instrument", jedes Mal eine kreisrunde Auslassung ist. Man möchte diese Bilder nennen: Wie Duchamp, als alle glaubten, er würde nur noch Schach spielen, auf die Idee zu seinem letzten Werk kam. Für mich besteht kein Zweifel, dass diese unerhört vitalen Bilder mit ihrer herzhaften, koketten Erotik und ihren zeichnerischen Qualitäten die besten Arbeiten in der Ausstellung sind. (Als Verbeugung vor Duchamp, der in Blainville geboren wurde, heißt die Schau übrigens "Im Walde von Blainville".)
Natürlich gibt es da noch den originell respektlosen Umgang mit dem sozialistischen Realismus. Einer typischen sozialistischen Arbeitermaid zieht Baselitz den Rock aus: Die angehende Heldin der Arbeit wird zu einer Heldin der unteren Körperhälfte. (Lieber Nudismus als Kommunismus.) Und Lenin atomisiert sich (löst sich in der Weinseligkeit auf), wird mit Hilfe eines Flaschenkorkens Punkt für Punkt auf die Leinwand gestempelt (womöglich ist der Korken nicht einmal von einem Rotwein, sondern als letzter Affront gegen die "Roten" gar böswilliger Weise von einem Weißwein). Ein "Heurigen-Pointillismus". (Kein "Jelzin-Pointillismus", weil Wodkaflaschen ja keinen Korken haben.)
Arbeitet der Baselitz eigentlich mit Modellen? Baselitz: "Nein. Manchmal mach ich Zeichnungen vom Hund und so." Aber schon richtig herum und dann drehen Sie's um, oder? Baselitz: "Wie Sie wollen." Sie können das andersrum? "Ja."

Erschienen am: 27.12.2000

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