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Dalís Schnurrbart trifft auf Schinwalds Karpfen

21.06.2011 | 18:49 | SABINE B. VOGEL (Die Presse)

In der kleinen, erstaunlich intensiven Ausstellung „Le Surréalisme, c'est moi!“, in der Kunsthalle Wien, treffen Werke Dalís auf Arbeiten von vier zeitgenössischen Künstlern.

Meine Schnurrbartspitzen sind Radar-Antennen, mit deren Hilfe ich tagsüber alles empfange, was in der Welt um mich vorgeht und gedacht wird“, erklärte Salvador Dalí einmal. Vor allem aber war sein Bart sein publikumswirksames Erkennungsmerkmal. Wie kaum ein anderer wusste sich der 1989 gestorbene, spanische Maler zu inszenieren, trat in Werbespots auf, zierte Cover von Zeitschriften mit seinen weit aufgerissenen Augen als Inbegriff des exzentrischen Künstlers und fütterte die Medien gerne mit kleinen Skandalen. „Wer interessieren will, muss provozieren“, erklärte er einmal. 1936 besuchte er die surrealistische Ausstellung in London in einem Taucheranzug in Begleitung von zwei Windhunden, 1939 landete er in New York mit einem 2,5Meter langen Brot – oder er stellte ein Telefon mit einem lebenden Hummer aus.

 

Glenn Browns traumatischer Farbrausch

Dieser Hummer ist jetzt als Bronzeskulptur Auftakt der kleinen, aber erstaunlich intensiven Ausstellung „Le Surréalisme, c'est moi!“, zu sehen in der Kunsthalle Wien. Der Titel spielt auf ein Zitat des Künstlers an, mit dem er seinen Ausschluss aus der surrealistischen Gruppe um André Breton entkräftet hat: „Ich bin kein Surrealist. Ich bin der Surrealismus.“ Tatsächlich ist Dalí bis heute der Inbegriff dieser Kunstbewegung, die immer wieder vor allem Jugendlichen den Einstieg in die Welt der modernen Kunst ermöglicht – vielleicht, weil der Surrealismus nicht unsere schnöde Realität zeigt, sondern die Welten von Rausch- und Traumerlebnissen. Anders als Max Ernst oder André Breton bleibt Dalí dabei immer nah am Alltag, indem er bekannte Objekte wie die Uhr oder die Giraffe verformt und in plakative, unerwartete Zusammenhänge stellt. Seine detailgetreue Malerei voller altmeisterlich gemalter Bildmetaphern schafft so den Seiltanz zwischen Vertrautheit und Faszination – die perfekte Mischung, um Aufmerksamkeit zu erregen.

Aber gerade wegen dieser bisweilen allzu plakativen, mehr an Illustrationen denn an Malerei grenzenden Kunst geriet Dalí ins kunsthistorische Abseits. Auch der Kunstmarkt distanzierte sich aufgrund der 10.000 blanko-signierten Blätter von ihm – angeblich eine Aktion seiner geliebten Gattin Gala. Den zeitgenössischen Künstlern sind diese Einwände allerdings egal. Vor allem Louise Bourgeois bezeichnete Dalí einmal als völlig unterschätzen Künstler – woraus Gerald Matt die Idee für diese Ausstellung entwickelte. So treffen in der Kunsthalle Wien jetzt in vier Räumen Werke von vier Künstlern auf den Meister des Surrealismus.

Den Auftakt macht Markus Schinwald. Gerade erst hat er auf der Biennale in Venedig sein Labyrinth im österreichischen Pavillon eröffnet. Jetzt inszeniert er in der Kunsthalle einen wiederum minimalistischen Raum. Sein Bezugspunkt ist Dalís Pavillon „Dream of Venus“, den er für die Weltausstellung 1939 geschaffen hat. Den Videobildern dieses opulenten, sexuell aufgeladenen Bühnengeschehens mit Wasserballett und Puppentheater stellt Schinwald ein stilles, fast leeres Aquarium als Antwort dazu. Darin schwimmt ein Welspaar, deren Barteln, diese fadenförmigen Hautorgane, an Dalís Schnurrbart erinnern. Ohne Handlung, ohne Erzählung, ohne Pomp baut Schinwald eine Spannung auf.

Im nächsten Raum treffen 50Objekte und Zeichnungen von Bourgeois auf Dalís Radierungsserie „Gesänge des Maldoror“, in denen die Bildmotive von Zerstörung, Verfall und Abartigem erzählen. Zusammen entsteht ein gewaltiges Kabinett voller traumatischer, obsessiver Werke. Der dritte Raum gehört Glenn Browns farbgewaltigen Malereien. Wie Bourgeois ist auch Brown ein ausgewiesener Fan von Dalís Werken: „Farbe und Tinte werden zu Genauigkeitsmaterialien für eine forensische chirurgische Untersuchung des Menschseins“, schwärmt er. Seit er eine Dalí-Ausstellung gesehen habe, seien seine eigenen Bilder „schärfer, härter, grausamer, hyper-super-surreal, weniger weich und verschwommen mit weniger verschwommenem (Gerhard-) Richter-Scheiß, insgesamt mehr Dalí“ geworden.

Ein malerischer, heutiger, weniger illusionistischer, dafür viel brutalerer Dalí! Zuletzt treten wir vor die theatralischen Inszenierungen von Francesco Vezzoli. Der Italiener wurde bekannt mit seinen „Stickereiarbeiten mit kleinen Stichen“, wie er es nennt, in denen er Berühmtheiten wunderschöne Tränen hinzugefügt hat bzw. „die Welt der Filmklubs meiner Eltern mit der bürgerlichen Vorstellung meiner Großmütter zusammenführt“. In der Kunsthalle zeigt er seinen Werbespot eines Parfums, das nicht existiert, und eine samtige Elisabeth-Taylor-Inszenierung. Auf einem Bild ist die Diva in Dalís berühmtes Gemälde „Der Schlaf“ hineinmontiert und bestickt. Was heißt es heute, ein Star zu sein? Diese Leitfrage steht über dem Raum – womit der Italiener den Star-Aspekt aus Dalís Leben aufgreift. Nicht zuletzt wird in Vezzolis Beitrag Dalí als ein Künstler thematisiert, der die heutige Kunstindustrie vorweggenommen hat. Der Italiener will das keineswegs kritisieren. „Ich mache ausschließlich Kunst, die im übertragenen Sinn davon spricht, wohin sich das System der Kunst heutzutage bewegt.“
„Le Surréalisme, c'est moi!“, Museumsplatz1, Kunsthalle Wien, bis 23.Oktober, täglich 10–19h, Do 10–21Uhr.


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