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26. August 2009
20:29 MESZ

Edle Apothekerschränke, die Prunkstücke des Akustikons, bieten Schubladen, in denen ausgewählte Klänge verwahrt werden. Öffnet man sie, werden diese hörbar.


Auf dem Weg zur hörenswerten Stadt
Das Linzer Akustikon vermittelt und erforscht Klangräume und setzt sich als Nebenschauplatz der Aktion "Hörstadt" kritisch mit Zwangsbeschallung auseinander

Die Futuristen hatten es mit dem Lärm. Er erschien ihnen als das klangliche Frohlocken eines neuen, technisch dominierten Zeitalters. In Filippo Tommaso Marinettis Manifest, das er am 20. Februar 1909 im Pariser Le Figaro veröffentlicht hatte, knattern die Propeller der Flugzeuge, heulen Autos auf. Die Kultur der "tempi passati" sollte lautstark niedergewalzt, Platz für Neues, Größeres und Mächtigeres geschaffen werden. Eine fatalistische Kriegsbegeisterung und die Fortschrittsideologie des italienischen Faschismus klingen dabei an, dessen Weggefährte Marinetti als späterer Kulturminister Mussolinis werden sollte.

Ein demokratischer Umgang mit der Technik und dem Geräuschpegel, den diese produziert, sieht anders aus. Und so setzte Peter Androsch, Musikintendant von Linz 09, zum 100. Jahrestag des Erscheinens dieses Manifests sein eigenes, akustisches, entgegen. Gegen Zwangsbeschallung, für demokratische Mitbestimmung in Sachen Akustik, für Orte mit ausgewogenem Raumklang. Einen solchen Ort hat Androschs Team im übertragenen Sinn mit dem Linzer Akustikon geschaffen, das zum bewussten Hören abseits der Dröhnungen des Alltags einlädt.

Wobei Alltagsgeräusche per se kein Feind sind. Man will lediglich die Konfrontation mit ihnen zur freiwilligen Entscheidung machen. Auf diesen Unterschied legt Androsch Wert. Und so ist es auch gar kein Widerspruch, wenn ins Akustikon mehrere Hörrohre münden, die am anderen Ende den Umgebungslärm der nahegelegenen Plätze einfangen. Im zugehörigen Auditon, wie die Hörstationen hier heißen, werden die Ohren mit dem Puls der Stadt alleine gelassen.

Die Welt des Hörens wird monomedial vermittelt. Das gilt auch für die restlichen Auditons, die akustische Täuschungen vorführen, absolute Stille simulieren oder die Abstufungen von Schwerhörigkeit nachvollziehbar machen. Man experimentiert mit Raumklang und kann via Klang-Joystick die Schallreflexionen verschiedenster Materialien testen.

Klingende Schubladen

Optische Reize spart man in den Räumen durch die zurückgenommene Ausstellungsarchitektur aus. Schon die für die Außenfassade gewählte (Nicht-)Farbe Schwarz soll die Konzentration aufs Wesentliche unterstreichen. Im Inneren weiß die Gestaltung der Räume dennoch durch eine gewisse Gediegenheit zu überzeugen. So muten die Prunkstücke des Akustikons haptisch wie optisch edel an. Im Stil von alten Apothekerschränken wurden zwei sogenannte Polyphone gebaut, deren herausziehbare Schubladen verschiedene Klänge beherbergen.

Diese kommen mitunter von weit her: In den 672 Laden des Polyphons Nr. 1 sind die Klangprofile von Pulsaren zu hören. Diese Kernfragmente von explodierten Sternen senden Radiostrahlen aus, die mit Weltallteleskopen eingefangen werden können. Im Akustikon hat man den Schrank Harmonia Mundi getauft - eine Hommage an Johannes Kepler, der an die Zusammenhänge von Musik und Astrologie sowie die harmonische Bewegung der Planeten glaubte.

Gleich daneben widmet sich das zweite Polyphon verbotenen Klängen, also jener Musik, die aus politischen, rassistischen, ästhetischen oder religiösen Gründen unerwünscht war. Zu unterschiedlichen historischen Zeitpunkten, in unterschiedlichen Gesellschaften.

Die Kuratoren Karin Wagner und Norbert Trawöger haben die Schubladen mit Kompositionen bestückt, die teilweise auch regionale Bezüge herstellen. Der in Linz geborene und von den Nationalsozialisten verfolgte Tenor Richard Tauber findet hier ebenso Berücksichtigung wie Erich Wolfgang Korngold, der während seiner Sommerfrische in Gmunden zu komponieren pflegte.

Neues Studium

Insgesamt will das Akustikon als Teil des Projekts Hörstadt jedoch nicht nur Ausstellungsfläche, sondern auch Forschungsstätte sein. Die gesellschaftliche und politische Bedeutung des Hörens ist ihr Thema, die vom Linzer Gemeinderat beschlossene akustische Charta ein erster Achtungserfolg. In Zukunft will man außerdem ein neues Studium der Akustik in Linz etablieren, das sich neben physikalischen Aspekten auch mit ökologischen, architektonischen und solchen der Kulturanthropologie beschäftigt. (Wolfgang Schmutz / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 27.8.2009)

 

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