24.09.2003 17:37
Als die Bilder flackern lernten
Eigenwillige Kuratorenblicke bei der Kunstbiennale von Lyon: Bruno
Gironcoli, Franz West und Florian Pumhösl sind Gast - Foto
Auf der bis Jänner laufenden Kunstbiennale in Lyon regiert der
eigenwillige Blick einer verschworenen Gemeinde von Kuratoren: Die jüngste Kunst
nimmt Anleihen bei der Tradition. Immerhin kommen Bruno Gironcoli, Franz West
und Florian Pumhösl zur Geltung.
Österreich ist auf der siebenten Lyoner Kunstbiennale ("Biennale d'art
contemporain de Lyon"), die bis zum 4. Jänner an fünf verschiedenen Orten in
Lyon zu sehen ist, repräsentativ vertreten. Drei Künstler aus drei Generationen,
Bruno Gironcoli (geb. 1936), Franz West (geb. 1947) und Florian Pumhösl (geb.
1971), werden dem internationalen Publikum näher gebracht.
Gironcoli,
trotz der Bespielung des Österreich-Pavillons auf der venezianischen
Kunstbiennale in Frankreich weit gehend unbekannt, wird in einem Saal mit zwei
Metallskulpturen und Gemälden präsentiert, die sich mit Werken von Franz West
(Skulp^turen, Sesselinstallation und Gemälde) zum harmonischen Ganzen fügen: was
insgesamt einen der gelungensten Säle der Lyoner Biennale ergibt.
Weitere
West-Gemälde sowie einen historischen Tisch (Poster Design [Akzidenzien], 2003,
Sisyphos, O.T. [Sisyphos], 2002, O.T. [Table Red], 1991) gibt es im Nachbarsaal
zu sehen. Zehn Blätter mit Gironcolis Zeichnungen/Malereien, beginnend mit einer
Arbeit von 1964 (Entwurf zu Verwendbarem Gegenstand), ergänzt durch Blätter von
1989/91, wurden von der Innsbrucker Galerie Thoman zur Verfügung gestellt.
Florian Pumhösls Video^installation mit fünf Projektoren, in der sich
Farbkonstellationen wie Steinformationen langsam verändern, ergänzt den
Österreich-Aspekt in Lyon. Und Wien ist indirekt nochmals vertreten, denn eine
monumentale Installation von Mike Kelley und Paul McCarthy, Sod & Sodie
Suck, wurde 1999 in der Secession gezeigt:
In mehreren übel riechenden
Militärzelten trifft man auf Lehmformen. Auf Filmleinwänden wird man mit
groteskem Militärdrill konfrontiert und beobachtet maskierte Soldaten, wie sie
Wiener Margarine zu Beuysschen Fettbergen anhäufen. Ein von den Besuchern als
"irritierend" qualifiziertes Werk, das heftige Reaktionen
auslöst.
Was man von der siebten Biennale insgesamt nicht
behaupten kann: Sie ist langweilig, unpädagogisch, kaltschnäuzig, zu sehr auf
formalistische Werke ausgerichtet oder möchte mit Pseudopornografie
provoziere.
Die fünf Kuratoren, die Biennaleleiter Thierry Raspail
diesmal aussuchte, das Dijoner Consortium (Xavier Dou 4. Spalte roux, Franck
Gautherot, Eric Troncy), ergänzt durch die freien Kunsthistoriker Anne Pontégnie
(Brüssel) und Robert Nickas (New York), haben weder ein Thema noch ein Konzept
gewählt, sondern nur einen Titel als Leitfaden: "C'est arrivé demain" ("Es
geschah morgen"). Dies ist der Titel eines Films von René Clair: Ein Journalist
findet jeden Morgen die Zeitung vom nächsten Tag, wird zum erfolgreichen
Schreiber – bis er seinen eigenen Nachruf liest.
Die Kuratoren evozieren
mit diesem Titel die Filmstadt ^Lyon, wo die Brüder Lumière die siebente
Kunstform erfanden, und untermauern damit ihre Idee, Kunstströmungen aus den
60er- und 70er-Jahren zu präsentieren. Der Film markiert auch die Präsentation.
Zu Beginn des Parcours in der Sucrière (einem am Saône- Ufer gelegenen, für die
Biennale restrukturierten ehemaligen Zuckerlager) grüßt eine Auftragsarbeit von
Vito Acconci: gebogene Leinwände, auf die Experimentalfilme von Len Lye
(1900–1980) aus den 50ern projiziert werden.
Historischer
Blick
Ein netter, historischer Einfall, nichts weiter. In Abwesenheit
eines Katalogs muss man sich in einem kleinen Heftchen informieren, um
herauszufinden, von wem die gezeigten Werke sind. Das heißt, die – in
Kunstkreisen ironisch als "Ayatollas aus Dijon" bezeichneten – Kuratoren
bevorzugen Besucher, die aus dem zeitgenössischen Kunstserail kommen und die
Werke bereits kennen. Da sie aber auch kalt-formalistische Ansätze wie die der
Bildhauer Gary Webb, Dan Coombs oder Robert Grosvenor zeigen, benötigt man viel
Energie und Zeit für die Auseinandersetzung mit den Werken.
Als
Tendenzen, die sich in Lyon abzeichnen, kann die Imitation von Natur, der (oft
damit verbundene) Kitsch, die Verwendung von Neonröhren als Primärmaterial oder
die Wiederaufnahme der Malerei der 60er-Jahre gelten.
Piero Gilardi
baute einen bacchantischen Iglu-Raum mit Weinreben aus Kunststoff, die aus
gummiartigen Steinhaufen wachsen und sich zu elektronischer Musik drehen: sich
öffnen, um ihre Trauben zu zeigen, mit den Blättern wackeln. Dazu sieht man ein
Weintrauben-Video am Iglu- Plafond. Giuseppe Gabellone hat mit Pianta ein grün
bemaltes Ziegelquadrat gebaut, in dessen Mitte eine steinerne Grünpflanze
thront. Didier Marcel platziert Zypressen aus grünem oder bordeauxrotem Samt,
die sich um die eigene Achse drehen, rund um ein Auto.
Die Neon-Fraktion
wird von Carsten Höller angeführt, der einen begehbaren Neonkäfig (Neon Circle,
2001) anbietet. Claude Lévêque taucht einen Riesensaal in rosa Neonlicht, wo zu
Walzerklängen rosa Tücher (durch Ventilatoren bewegt) wehen.
Sie führen
zu einem vier mal zweieinhalb Meter hohen orangen Damenschuh, der an Galas Schuh
erinnert, den Salvador Dali zur fetischistischen Ikone erhob. Lustbetonte, die
Wahrnehmung verändernde Rauminstallationen, darunter eine mit Neonröhren, bietet
die Japanerin Yayo Kusama, die das Consortium bereits in Wien zeigte und in Lyon
mit mehreren Aufträgen bedachte.
Dass sie diese in den 60er- Jahren mit
ihren Happening- Videos und Körperbemalungen erfolgreiche Künstlerin
wiederentdeckten, ist ein Verdienst der strengen Consortium-Herren. (DER
STANDARD, Printausgabe, 25.9.2003)