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10.09.2002 - U-Musik
Ars Electronica: Babylon, Brighton und anderswo
Die Ars Electronica in Linz widmet sich heuer unter dem Motto "Unplugged" der Anschlußlosen der Welt, vor allem in Afrika. Leider halbherzig.
VON THOMAS KRAMAR


Brighton liegt nicht im Cyberspace, sondern am Strand, an der englischen Südküste. Das charmante Video "Day Tripper" fängt einen trägen Spätsommertag dort ein. Daneben: einmal "Bed And Breakfast", seltsame Hobbies wie die Befreiung von Gartenzwergen, eine "Tea party", sogar interaktiv. Dergleichen zeigt bei der Ars Electronica "Embrace The Swarm", ein Unternehmen von britischen und Linzer Studenten zum Thema "Branding UK in Linz".

Nichts in dieser Kollektion von "Markenzeichen" hat mit dem World Wide Web zu tun. Ist Großbritannien also "unplugged", muß man sich deshalb Sorgen machen? Natürlich nicht. Aber es ist nicht der Rede wert, daß man auch in Brighton mehr im Internet als im Meer surft.

Doch Glorifizierung des Internet ist auch bei der heurigen Ars programmatisch. In der Netzinstallation "Biophilie" wird sogar die Weltkarte danach verzerrt, wie lange Signale von einem Server zum anderen wandern. Gleich daneben im Brucknerhaus: die Studien des US-Künstlers Peter Fend, der Landkarten nach Wasserscheiden zerschneidet und auf geopolitische Auswirkungen der Verteilung der Wasserressourcen prüft.

Eine - kluge - Spielerei, gewiß, aber viel realitätsnäher als die auch im Symposium inhärente These, der primäre Mangel in unterentwickelten Regionen, etwa in Afrika, sei jener an Internetanschlüssen. Daß diese nicht automatisch reale wirtschaftliche Macht mit sich bringen, mußten in Europa etliche Ich-AGs mit angeschlossener Möchtegern-New-Economy schmerzhaft einsehen. Aber wenn es - etwa mit dem stets unterhaltsamen Laienprediger Jeremy Rifkin - gegen den bösen Materialismus (von Adam Smith und Marx bis Madonna) geht, wird manchen das Internet offenbar zur vergeistigten Idealzone, in der nur Symbole zählen.

Daß sie auch zählen, sei unbestritten. Auch bei der heurigen Ars bewährt sich die Kunst gerade dort, wo sie nicht vorgibt, politische und wirtschaftliche Vorgänge quasi intuitiv zu verstehen, sondern sich bewußt der Sphäre des Symbolischen widmet. Etwa bei "net.flag", wo sich jeder seine Flagge basteln kann (etwa gut österreichisch, unter Einsatz des blutgetränkten Gewands des Babenbergers Leopold V.).

Technisches Museum

Oder bei "They Rule", wo man das Chefsessel-Netzwerk der (real) Mächtigen quasi ornamental umgruppieren kann. Auch bei "La Valise" aus Senegal: ein Koffer voller elektronischer Gerätschaften mit bereits überschrittenem Ablaufdatum. Sieht aus wie von Nam June Paik? Alles - in der westlichen Welt - schon dagewesen? Die künstlerische Befassung mit Technik ist an diese gebunden, daher hinken afrikanische Medienkünstler ihren westlichen Kollegen bisweilen, böse gesagt, nach. Das sollte nicht der Grund dafür sein, daß die Ars heuer kaum Arbeiten zu ihrem eigentlichen Thema und aus den "Unplugged"-Regionen wie Afrika zeigt: Auch die meisten Installationen der "Hidden Worlds" im Ars-Electronica-Zentrum sind weder technisch noch ästhetisch up-to-date, dazu inhaltlich öd: Apparaturen, die akustischen Input in irgendwelche Blasen verwandeln, gähn!

Weltkultur im Hiphop

Ähnlich abgedroschen ist die Idee der "Radiotopia", laut Begleittext "ein aus Radiowaves und Databits geschaffener Raum als globales Netzwerk künstlerischer Kommunikation". "Radiokunst" wie jedes Jahr: Geschäftige an den Schirmen speisen unzählige Sound-Files ein, die dann nach Belieben vermanscht werden. Etwaige Botschaften - etwa über die Lage in afrikanischen Staaten - gehen in diesem Datensumpf unweigerlich verloren.

Erfreulich dagegen das Programm in der Stadtwerkstadt: Im "Urban Africa Club" werden schlicht afrikanische Hiphop-Musiker vorgestellt, die sich nicht als Brauchtumspfleger sehen, sondern in derselben Liga spielen wollen wie Kollegen aus New York. Am ersten Abend waren das BMG 44 - mit viel Hiphop-Gestik alter Schule - und, auch aus Senegal und origineller, Pee Froiss. Auch ihnen geht es um Befreiung - von Babylon: Das Motiv der Hurenstadt ist aus dem alten Israel (und Juda) über den Reggae (der in einer jüdischen Sekte Äthiopiens wurzelt) auf die andere Seite Afrikas gewandert. Weltkulturerbe. Wer spricht da noch von Peripherie?



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