Brighton liegt nicht im Cyberspace, sondern am Strand, an
der englischen Südküste. Das charmante Video "Day Tripper" fängt einen
trägen Spätsommertag dort ein. Daneben: einmal "Bed And Breakfast",
seltsame Hobbies wie die Befreiung von Gartenzwergen, eine "Tea party",
sogar interaktiv. Dergleichen zeigt bei der Ars Electronica "Embrace The
Swarm", ein Unternehmen von britischen und Linzer Studenten zum Thema
"Branding UK in Linz".
Nichts in dieser Kollektion von "Markenzeichen" hat mit
dem World Wide Web zu tun. Ist Großbritannien also "unplugged", muß man
sich deshalb Sorgen machen? Natürlich nicht. Aber es ist nicht der Rede
wert, daß man auch in Brighton mehr im Internet als im Meer surft.
Doch Glorifizierung des Internet ist auch bei der
heurigen Ars programmatisch. In der Netzinstallation "Biophilie" wird
sogar die Weltkarte danach verzerrt, wie lange Signale von einem Server
zum anderen wandern. Gleich daneben im Brucknerhaus: die Studien des
US-Künstlers Peter Fend, der Landkarten nach Wasserscheiden zerschneidet
und auf geopolitische Auswirkungen der Verteilung der Wasserressourcen
prüft.
Eine - kluge - Spielerei, gewiß, aber viel realitätsnäher
als die auch im Symposium inhärente These, der primäre Mangel in
unterentwickelten Regionen, etwa in Afrika, sei jener an
Internetanschlüssen. Daß diese nicht automatisch reale wirtschaftliche
Macht mit sich bringen, mußten in Europa etliche Ich-AGs mit
angeschlossener Möchtegern-New-Economy schmerzhaft einsehen. Aber wenn es
- etwa mit dem stets unterhaltsamen Laienprediger Jeremy Rifkin - gegen
den bösen Materialismus (von Adam Smith und Marx bis Madonna) geht, wird
manchen das Internet offenbar zur vergeistigten Idealzone, in der nur
Symbole zählen.
Daß sie auch zählen, sei unbestritten. Auch bei
der heurigen Ars bewährt sich die Kunst gerade dort, wo sie nicht vorgibt,
politische und wirtschaftliche Vorgänge quasi intuitiv zu verstehen,
sondern sich bewußt der Sphäre des Symbolischen widmet. Etwa bei
"net.flag", wo sich jeder seine Flagge basteln kann (etwa gut
österreichisch, unter Einsatz des blutgetränkten Gewands des Babenbergers
Leopold V.).
Technisches Museum
Oder bei "They Rule", wo man das Chefsessel-Netzwerk der
(real) Mächtigen quasi ornamental umgruppieren kann. Auch bei "La Valise"
aus Senegal: ein Koffer voller elektronischer Gerätschaften mit bereits
überschrittenem Ablaufdatum. Sieht aus wie von Nam June Paik? Alles - in
der westlichen Welt - schon dagewesen? Die künstlerische Befassung mit
Technik ist an diese gebunden, daher hinken afrikanische Medienkünstler
ihren westlichen Kollegen bisweilen, böse gesagt, nach. Das sollte nicht
der Grund dafür sein, daß die Ars heuer kaum Arbeiten zu ihrem
eigentlichen Thema und aus den "Unplugged"-Regionen wie Afrika zeigt: Auch
die meisten Installationen der "Hidden Worlds" im Ars-Electronica-Zentrum
sind weder technisch noch ästhetisch up-to-date, dazu inhaltlich öd:
Apparaturen, die akustischen Input in irgendwelche Blasen verwandeln,
gähn!
Weltkultur im Hiphop
Ähnlich abgedroschen ist die Idee der "Radiotopia", laut
Begleittext "ein aus Radiowaves und Databits geschaffener Raum als
globales Netzwerk künstlerischer Kommunikation". "Radiokunst" wie jedes
Jahr: Geschäftige an den Schirmen speisen unzählige Sound-Files ein, die
dann nach Belieben vermanscht werden. Etwaige Botschaften - etwa über die
Lage in afrikanischen Staaten - gehen in diesem Datensumpf unweigerlich
verloren.
Erfreulich dagegen das Programm in der Stadtwerkstadt: Im
"Urban Africa Club" werden schlicht afrikanische Hiphop-Musiker
vorgestellt, die sich nicht als Brauchtumspfleger sehen, sondern in
derselben Liga spielen wollen wie Kollegen aus New York. Am ersten Abend
waren das BMG 44 - mit viel Hiphop-Gestik alter Schule - und, auch aus
Senegal und origineller, Pee Froiss. Auch ihnen geht es um Befreiung - von
Babylon: Das Motiv der Hurenstadt ist aus dem alten Israel (und Juda) über
den Reggae (der in einer jüdischen Sekte Äthiopiens wurzelt) auf die
andere Seite Afrikas gewandert. Weltkulturerbe. Wer spricht da noch von
Peripherie?
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