03. Dezember 2008, 12:27 Uhr

NEUE DOCUMENTA-LEITERIN

Die Zeit der Diven ist vorbei

Von Nicole Büsing und Heiko Klaas

Verkopft, divenhaft, dilettantisch - so wie ihre Vorgänger wird sich die designierte Leiterin der Documenta 13 garantiert nicht präsentieren! Carolyn Christov-Bakargiev gilt als kompetent und kosmopolitisch - die Weltkunstschau umkrempeln wird allerdings wohl auch sie nicht.

Carolyn Christov-Bakargiev. Mit ihrem komplizierten Namen werden sich einige schwer tun. Mit ihrer fachlichen Kompetenz, ihrer kosmopolitischen Offenheit und ihrer unverkrampften Freundlichkeit dürften die meisten dagegen gut zurechtkommen. Die Ära unnahbarer Diven wie Catherine David, hyperintellektueller Schöngeister wie Okwui Enwezor und dilettantisch agierender Möchtegern-Kuratoren im Doppelpack wie Roger M. Buergel samt Gattin Ruth Noack dürfte mit der Berufung der 50-jährigen US-Amerikanerin Carolyn Christov-Bakargiev zur Leiterin der im Sommer 2012 stattfindenden Documenta 13 endgültig beendet sein. Nach Catherine David ist Christov-Bakargiev die zweite Frau auf dem Chefsessel der Weltkunstschau.

Designierte Documenta-Leiterin Christov-Bakargiev: Handwerk von der Pike auf gelernt
Ben Symons / Biennale of Sydney

Designierte Documenta-Leiterin Christov-Bakargiev: Handwerk von der Pike auf gelernt

Christov-Bakargiev, die 1958 in New Jersey als Tochter eines bulgarischen Vaters und einer italienischen Mutter geboren wurde, gilt als erfahrene Ausstellungsmacherin, die ihr Handwerk von der Pike auf gelernt hat. Studiert hat sie im italienischen Pisa: Kunstgeschichte und Literaturwissenschaft. Nachdem sie lange Zeit als unabhängige Kuratorin gearbeitet hatte, übernahm sie 1999 eine Stelle als Kuratorin am New Yorker P.S.1, einem Ableger des Museum of Modern Art.

Seit Anfang 2002 ist sie Chefkuratorin des etwas außerhalb von Turin gelegenen Castello di Rivoli, einem der größten und wichtigsten Museen für zeitgenössische Kunst in Norditalien. Hier zeigte sie unter anderem Ausstellungen von wichtigen Gegenwartskünstlern wie dem in Mexiko-Stadt lebenden Belgier Francis Alÿs, dem südafrikanischen Animationsfilmer William Kentridge oder dem französischen Video- und Konzeptkünstler Pierre Huyghe.

Christov-Bakargiev hat zusammen mit Francesco Bonami, dem Leiter der Biennale Venedig 2003, die erste Turin Triennale 2005 kuratiert, eine Großausstellung mit 75 Künstlern aus aller Welt. Zurzeit findet im Castello di Rivoli die zweite, von dem Schweden Daniel Birnbaum kuratierte Turin Triennale statt. Beteiligt sind zahlreiche deutsche oder in Deutschland lebende Künstler wie zum Beispiel Ulla von Brandenburg oder Haegue Yang.

Als Kuratorin oder Co-Kuratorin von Großausstellungen mit mehr als hundert Künstlern hat Christov-Bakargiev bereits mehrmals Erfahrungen gesammelt. In diesem Jahr erst kuratierte sie die 16. Sydney-Biennale. Unter dem Motto "Revolutions - Forms that turn" fand dort ein zwölfwöchiges Kunstfestival mit über 180 Künstlern statt, das Anfang September zu Ende gegangen ist.

Christov-Bakargiev gelang es, die Besucherzahlen der Biennale gegenüber 2006 um satte 37 Prozent auf 435.000 zu erhöhen. Dies geschah nicht zuletzt durch die konsequente Einbindung des Publikums mittels eines attraktiven Begleitprogramms mit Workshops, Performances und Künstlergesprächen - ähnlich dem 100-Tage-Programm der Documenta.

Kritiker warfen ihr allerdings auch eine zu große Öffnung gegenüber dem breiten Publikum auf Kosten der künstlerischen Qualität vor. Gegenüber der australischen Tageszeitung "The Sydney Morning Herald" skizzierte sie ihr Idealbild eines guten Künstlers: "Alle Künstler sollten die Regeln und Konventionen, die ihnen von ihrer Umgebung diktiert werden, über den Haufen werfen. Tun sie das nicht, sind sie keine guten Künstler sondern bloß Inneneinrichter oder Dekorateure." Ihre Spezialität: Die Gegenüberstellung historischer Avantgarde-Positionen, etwa der Konzeptkunst oder der Arte Povera, mit der davon inspirierten künstlerischen Praxis jüngerer Künstler.

Auf der sicheren Seite

Carolyn Christov-Bakargiev hat sich auch als Buchautorin einen Namen gemacht. So veröffentlichte sie 1999 ein wichtiges Standardwerk über die in Turin beheimatete Arte Povera-Bewegung der sechziger Jahre. Carolyn Christov-Bakargiev lebt zurzeit in Rom, Turin und New York. Sie ist verheiratet und hat zwei Töchter.

Mit der Entscheidung für Christov-Bakargiev geht die Findungskommission der Documenta dieses Mal auf Nummer sicher. Schließlich hat der oder die Neue nach der Berufung relativ freie Hand in der Gestaltung der alle fünf Jahre stattfindenden Weltkunstschau. Ein desaströses Ausstellungsmanagement und die kapriziöse Verweigerung von Kommunikation gegenüber den Medien und der Öffentlichkeit wie unter Roger M. Buergel sind bei ihr nicht zu befürchten. Stattdessen wird es wohl eine solide Ausstellung mit jeder Menge bekannter Namen und sicherlich auch einigen Neuentdeckungen geben. Kuratiert von einer quirligen Frau mit lockigen roten Haaren, einer roten Brille und einem Faible für auffällig gemusterte Kleider.

Die neunköpfige, international besetzte Findungskommission - ihr gehörten unter anderen auch der Leiter der Alten und Neuen Nationalgalerie in Berlin, Udo Kittelmann, und als Sprecher der Direktor des Kölner Museum Ludwig, Kasper König, an - setzt mit Christov-Bakargiev, die sich in der letzten Runde des Berufungskarussells gegen Kandidaten aus den USA, Brasilien, Russland und Italien durchsetzen konnte, auf eine routinierte Ausstellungsmacherin, die in Europa ebenso gut vernetzt ist wie in den USA. Von Grund auf umkrempeln allerdings wird sie das Documenta-Konzept ganz sicher nicht.


Documenta 13 vom 9.6. bis 16.9. 2012 in Kassel

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