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Kunstberichte

Ohne Pathosformeln

Kunsthalle Wien: "Die Toten" von Hans-Peter Feldmann zeigt Terror-Opfer
Von Brigitte Borchhardt-Birbaumer

So leer war die Kunsthalle Wien noch nie: als reiner White Cube bietet sie nur eine rundum laufende Reihe von Schwarzweiß-Abzügen, die der Düsseldorfer Künstler Hans-Peter Feldmann nach Videos oder Zeitungsausschnitten in gleicher Größe verarbeitet hat. Unter Porträts das Todesdatum, ab und zu ein sachlicher Zusatzkommentar wie "mit ihrem Vater" (Petra Schelm im Leichenschauhaus): Zu sehen sind Tote, Tatorte, Hinterbliebene mit Fotos, Fluchtautos, Begräbnisse, Demonstrationen, zerschossene Scheiben in strenger Chronologie des Todesdatums. Als Vorspann das Wort "Terror" mit lexikalischer Erklärung, am Ende schlichte Kurzlebensläufe der Beteiligten.

Ohne die uns so allgegenwärtige moralische Bildikonografie, ohne Betroffenheitspathos, das meist auch beliebte Medien zur Auflagesteigerung bedienen, werden die politischen Morde von 1967-1993 aufgereiht. Wie ein Perlengleichnis, Opfer und Täter und die vielen zufällig ins Schussfeld Geratenen, an einer Kette.

Banalität des Bösen

Da sind Siegfried Buback, Hans Martin Schleyer, Holger Meins und Gudrun Ennslin – Namen, die präsent geblieben sind. Daneben die Unbekannten – Soldaten, Polizei, Chauffeure, Studenten oder Geiseln: Familien- und Fahndungsfotos, Dokumentationsmaterial – auch der beim Opecüberfall 1977 in Wien getötete Polizist Anton Tichler ist dabei.

Banalität des Bösen steht vor Heroismus eines politisch motivierten Gewaltakts – alle werden gleich behandelt: auf weißem Blatt ohne Rahmen. Doch manches Foto ist grobkörniger, unschärfer, die Distanzen variieren, es gibt Differenzen in der Erkennbarkeit. Hier können Fragen ansetzen. Studentenbewegung, APO- oder RAF-Terrorismus waren noch keine Kriege mittels Bildmedien wie der Angriff der Al-Kaida auf die Twin Towers 2001.

Feldmann hat damit eine hitzige Diskussion in Deutschland über Ästhetik und Moral von Bildern ausgelöst. Hintergrund sind auch die teils vorzeitigen Entlassungen von Tätern wie Christian Klar und Brigitte Mohnhaupt – der deutsche Staat behandelt die Terroristen nicht anders als Mörder aus anderen Motiven.

Feldmann unterstützt das juristisch trockene Ausblenden von Emotion auch in der ästhetischen Debatte, damit spricht er ein zentrales Problem der Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts an: die Verflechtung der Künstler mit politischen Ideologien, mit einem moralisch-religiösen Kampf mittels künstlerischer Mittel. Nach Gerhard Richters gemaltem RAF-Zyklus von 1988 ist dies eine weitere Möglichkeit, über unheilvolles Beziehen von Positionen zu diskutieren. Information über Zeitungen, Bücher und Filme ist eingebaut, auch das Begleitprogramm entsprechend groß.

Die Toten

Hans-Peter Feldmann

Kurator: Gerald Matt

Bis 29. April

Kunsthalle Wien

Erinnerungskunst.

Donnerstag, 15. März 2007


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