„Museen sind nicht zeitgemäß“
Interview. Die Museen seien Gefangene einer historischen Hypothek, sagt der Künstler Richard Kriesche. Deshalb werde Medienkunst negiert.
Martin Behr Graz (SN). Mit Kritik an der österreichischen Museumspolitik meldet sich der 70-jährige Medienkunstpionier Richard Kriesche zu Wort. Die durch Internet, Facebook, Twitter und Handytechnologien vorangetriebenen Revolutionen in Nordafrika hätten wieder einmal das enorme Potenzial und die Relevanz der neuen Medien gezeigt, sagt Kriesche. „Mit Ausnahme einiger Festivals verweigern sich die großen heimischen Kunstinstitutionen aber dieser brisanten Thematik“, sagt Kriesche, der kürzlich mit dem Österreichischen Kunstpreis 2010 (Video- und Medienkunst) ausgezeichnet worden ist. Die Macht der Bilder „Die Museen setzen auf das Bewahren, nicht auf das Weiterschreiben. Man ist stolz auf den Feldhasen von Dürer, zeigt aber kein Interesse, einen neuen Hasen, den Hasen der Zukunft, zu kreieren“, sagt der seit Jahrzehnten in Graz lebende, gebürtige Wiener. Die Vorgänge in Tunis und Kairo und anderen Orten der Revolution hätten gezeigt, wie Bilder von Handykameras als Belege für Authentizität gälten.
Unschärfen in Aufnahmen von Privatpersonen würden eine „So ist es wirklich“-Botschaft vermitteln, diese Kraft und Macht der Bilder könne sogar ein Regime zum Einsturz bringen. „Wo aber befindet sich unser Betriebssystem Kunst, während in Ägypten mit Facebook Geschichte geschrieben wird?“, fragt Kriesche und gibt selbst die Antwort: „Die Museen haben sich bei uns von der Lebenswirklichkeit der Menschen bewusst entfernt.“ Das Betriebssystem Kunst habe große Probleme, mit dem mediatisierten Lebensalltag und dem technologisch determinierten Wandel von Wirklichkeiten Schritt zu halten.
Die mächtigen Institutionen in Wien – Richard Kriesche nennt als Beispiele das Kunsthistorische Museum, die Albertina und das Museum für Angewandte Kunst – seien auf die Frage fixiert, wie Umsatz und touristische Frequenz erhöht werden könnten. In der fortgeschrittenen Kapitalisierung des Kunstmarktes sei die Realpräsenz der Museen von einer „geriatrischen Sicht“ bestimmt.
Die Konzepte seien überaltert, die Ignoranz gegenüber einer Kunst, die nicht bloß volle Auftragsbücher bei Transportunternehmern garantiere, sei enorm: „Ist nicht die Malerei angesichts der globalen Verhältnisse, der fortwährenden Bilderproduktion und des elektronischen Bildtransfers endgültig gescheitert?“
Richard Kriesche betont, dass die Museen, von den Volkskundemuseen bis zum Kunsthistorischen Museum, sich den Herausforderungen der durchgreifenden Mediatisierung zu stellen hätten: „Es sind adäquate Zugänge zur Sammlung und die ewig gültigen Themensetzungen (wie Porträtbild, Natur, Kosmos) zu eröffnen und zu kommunizieren. Es geht um die Entwicklung von Räumen für Mediendenken, -erfahrung und -kunst.“ Hunderttausende Leute ein Mal pro Jahr für eine „Lange Nacht der Museen“ motivieren zu können, sei zu wenig. Jenseits von Event und Hype gelte es, sich einer Kunst zu widmen, die „mitten im Leben steht“, der Medienkunst eben.
Im Jahr 1973 hat Richard Kriesche im Projekt „Kapellenstraße 41“ die Medien Video und Fotografie für Gesellschaftskritik eingesetzt. Die desolaten Wohnverhältnisse in der Barackensiedlung in der Grazer Peripherie wurden in die Öffentlichkeit transferiert. Die Bilder hätten gezeigt, „was wirklich los ist“, sagt Kriesche. „Hätte ich das alles gezeichnet oder gemalt, wäre es wirkungslos gewesen und der Abriss der stadteigenen Siedlung lang nicht in Angriff genommen worden.“Kult um das Malerische In Österreich, wo ein „Kult um das Malerische“ existiere, seien die Museen Gefangene einer historischen Hypothek. Die Zuerkennung des Österreichischen Kunstpreises 2010 stelle für ihn aber die erfreuliche Begleiterscheinung einer über Jahre praktizierten „Einfach nicht aufgeben“-Haltung dar. Inmitten einer „ökonomisch durchsetzten Kunstszene“ werte er die Preisvergabe auch als Signal dafür, dass es neben Kommerz etwas anderes gebe. Sein künstlerischer Ansatz sei mittlerweile der, reale Verhältnisse in Symbole zu übersetzen, Bild werden zu lassen. Diese Bilder wiederum seien Angebote zur Interpretation der Wirklichkeit.