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28.04.2006 - Kultur&Medien / Ausstellung
Venedig: Im Palast der Begierde
VON ALMUTH SPIEGLER
Wiedereröffnung. François Pinault zeigt im Palazzo Grassi seine Schätze.

Eigentlich kennt Venedig dieses Spek takel schon. Es findet alle zwei Jahre statt und nennt sich dementspre chend logisch Biennale. Jetzt hat die Lagunenstadt ein fixes Zirkuszelt für repräsentative Hochglanz-Kunst. Nicht irgendeines, sondern den traditionsreichen Palazzo Grassi. Und die Stars der Manege kommen auch nicht aus irgendeinem Stall, sondern aus dem des französischen Self-Made-Milliardärs François Pinault. Der Sohn eines Holzhändlers, Forbes-Reichenliste Platz 76, ist einer der weltweit gierigsten Kunstsammler. 2000 Werke hat der 69 Jahre alte Herr des Luxusgüterkonzerns Pinault-Printemps-Redoute (u. a. Gucci, Yves St. Laurent) in 30 Jahren angehäuft, ganz nebenbei leistet er sich praktischerweise noch den Besitz des Auktionsriesen Christie's.

Nachdem französische Bürokratie und Umweltschützer aber selbst Chiracs Busenfreund, der sein Privatmuseum ursprünglich auf einer Seine-Insel nahe Paris bauen lassen wollte, den letzten Nerv gezogen hatten, kaufte Pinault Venedig vergangenes Jahr den Palazzo Grassi ab. Um 29 Millionen Euro. Dann ging alles sehr rasch: In nur fünf Monaten ließ der Geschäftsmann die Gemäuer von Tadao Ando adaptieren. Viel durfte der japanische Pritzker-Preisträger im denkmalgeschützten Bau aus dem 18. Jahrhundert allerdings nicht bewegen, wie man am Freitag bei der Eröffnung feststellen konnte. Er beschränkte sich auf kosmetische Eingriffe: Reinigen (alter Infrastrukturen, postmoderner Behübschungen) und Klären (durch eingezogene weiße Wände).

So viel zum sozialen und baulichen Umfeld. Jetzt zur Kunst, die den Inhalt liefern soll. Doch nicht einmal zur Eröffnung darf sie hier für sich selbst stehen. Nein, sie soll laut der von Guggenheim geborgten Kuratorin Alison Gingeras allein der Selbstdarstellung des Sammlers dienen, ihm ein vielseitiges Porträt bescheren. Dafür brauchte man sich nur bis in den Halbstock des zweigeschoßigen Palazzo zu bemühen, wo der polnische Neo-Pop-Artist Piotr Uklanski den Hausherren als Totenschädel in einem Piraten-Logo porträtierte. Und wo US-Künstlerin Barbara Kruger ihre kapitalistische Version von Descartes "Ich denke, also bin ich" plakatierte: "I shop, therefore I am." Gibt es dazu noch mehr zu sagen?

Die Ausstellung zeigt, wie Pinault eingekauft hat: glänzend, groß und teuer. Dass ihm dabei gerade der subversive Gaukler Jeff Koons besonders nahe zu gehen scheint - ein aufgeblasenes Koons-Herz mit goldener Geschenkschleife baumelt gleich im Eingang -, lässt entweder auf knallhartes Investitionsdenken, Naivität oder bewundernswerte Selbstironie schließen. Gleich hinter dem kalten Herzchen, im Atrium, breitet sich flächendeckend Minimal-Art-Klassiker Carl Andre aus - 1300 Quadratmeter unsagbar teurer Bodenbelag. Doch aus dem ersten Geschoß grüßt bereits herunter, womit Sammler sich heute noch lieber schmücken, mit junger Kunst: Der 1973 geborene Schweizer Urs Fischer hält für Pinaults Entrée mithilfe hunderter Drähtchen einen ganzen Regenschauer hellroter Tränen in poetisch-wirkungsvoller Schwebe.

Im ersten Geschoß ein Parcours altbekannter neuer Kunst: Maurizio Cattelan, Raymond Pettibon, Paul McCarthy, Mike Kelley, Damien Hirst. Im Obergeschoß folgt die Moderne, zu dicht gehängt: Mark Rothko, viel italienische Arte Povera und Minimal Art - ganze Räume übervoll mit Donald Judd und Dan Flavin. Spätestens hier ist Pinaults Verwandtschaft mit Deutschlands Mega-Sammler Mick Flick, der zurzeit in Berlin zum Teil mit deckungsgleichen Werken seine Minimal-Schätze zeigt, unübersehbar. Ebenso wie der gemeinsame Hang zur selbstverliebt spiegelnden Oberfläche und zu machistischen Megaformaten.

Nimmt man den von einer Installation Hirsts bzw. einem Gauguin-Gemälde entlehnten Titel dieser ersten Grassi-Gruppenschau - "Where Are We Going?" - also ernst, muss man sich auch ebenso ernsthaft fragen, von wem die Kunst sich heute bei diesem Weg in die Zukunft an der Hand nehmen lässt. Und ob sie dabei überhaupt eine andere Wahl hat.

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