Aber nur einen geringen Teil der Bestände hatten Hitlers Helfer legal erworben: Zumindest 400.000 Bände (von 500.000 bis 700.000) stammten aus den Raubzügen des Einsatzstabes Reichsleiter Rosenberg (ERR), der allein in Osteuropa 957 Bibliotheken plünderte, und der Gestapo.
Tanzenberg bildete für die Historikerin Evelyn Adunka, 1965 geboren, den Ausgangspunkt für eine jahrelange Recherche, die nun im Czernin Verlag (312 Seiten, 26,50 EURO) publiziert wurde: Der Raub der Bücher berichtet akribisch über das "Verschwinden und Vernichten von Bibliotheken in der NS-Zeit und ihre Restitution nach 1945".
Adunka trug unglaublich viel Material zusammen - und doch kann sie das Ausmaß dieses systematischen Raubzuges nur andeuten: Es müssen Abermillionen Bücher gewesen sein, die "sichergestellt" beziehungsweise vernichtet wurden: Allein in der Wiener "Bücherverwertungsstelle" sortierte man binnen eines Jahres (bis Mai 1939) 644.000 Bände - und makulierte davon 410.000. PEN-Club-Präsident Wolfgang Fischer sprach daher bei der Präsentation von Adunkas Studie in der Wiener Stadt-und Landesbibliothek von einem "Auschwitz der Bücher".
Unter den Nutznießern befanden sich natürlich auch die österreichischen Bibliotheken. Auch nach dem Krieg: Die Bestände aus Tanzenberg, die nicht restituiert wurden (obwohl eine Rückgabe mitunter möglich gewesen wäre), gingen zum Teil an die Wiener Universitätsbibliothek. Eine Überprüfung der Bestände lehnte man bisher ab.
Die Nationalbibliothek hingegen sah zumindest die Eingänge zwischen 1938 und 1945 durch - und stieß auf 8400 Titel, die von der Gestapo eingeliefert worden waren. Doch man prüfte nur die Druckwerke, und Johanna Rachinger, die Direktorin, musste eingestehen, dass die Titel, die nun restituiert beziehungsweise dem Nationalfonds zugeführt werden, ein "geringfügiges Wirtschaftsgut" darstellen.
Ungleich wertvoller sind die Handschriften, Manuskripte und Nachlässe. Doch
diese Bestände wurden noch immer nicht kontrolliert. Und selbst wenn der
Rückgabebeirat von Kulturministerin Elisabeth Gehrer - wie im Fall Roda-Roda -
eine Restitution empfiehlt, kann es für die Erben äußerst schwierig werden, das
Eigentum auch wirklich ausgefolgt zu bekommen: Martin Roda Becher, der Enkel von
Roda-Roda, wartet seit zwei Jahren vergeblich.
(DER STANDARD,
Print-Ausgabe, 25. 4. 2002)
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