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Wien
Hans Haacke in der Generali Foundation
von Sabine B. Vogel

Ursprünglich sollte es eine grosse Retrospektive werden. Aber Hans Haacke entschied sich stattdessen zu einer ‹auf ein einziges Problemfeld konzentrierten› Ausstellung: ‹Mia san mia›. Gesetzt in Fraktalschrift, ist das Thema unmissverständlich: der Umgang mit der nahen Vergangenheit.

Haacke wählt für seine Wiener Installation eine eigenwillige Form, denn er fügt hier drei ältere Projekte aus dem Feld ‹Kunst im öffentlichen Raum› zusammen: 1988 rekonstruierte Haacke die NS-Siegesschule in Graz, schrieb ‹Und Ihr habt doch gesiegt› darauf und plakatierte dazu ‹Graz – Die Stadt der Volkserhebung›, darin Zeitungsanzeigen einmontiert, die von der rassistischen bzw. nationalsozialistischen Bevölkerung erzählen. Diese Plakate sind jetzt in Wien zu sehen. Dazu der Entwurf zu dem Wettbewerb ‹Gedenkstätte für Opfer des Nationalsozialismus am Militärschiess- übungsplatz Graz ‹Feliferhof›, zu dem Haacke 1996 eingeladen wurde. Sein Vorschlag eines drei Meter tiefen Grabens wurde zwar nicht ausgewählt, aber der darin vorgesehene Textauszug eines Historikers, der die gefundenen Leichen anhand ihrer Kleidung beschreibt, ist jetzt montiert. Die dritte Arbeit ist jener heftigst diskutierte Beitrag für das deutsche Reichstagsgebäude in Berlin. ‹Schmaler, weisser Fluss – Der Bevölkerung› flattert als Fahne auf dem Boden, an der Wand hängt eine Fotografie der Berliner Reichstagsfassade, die Sammlung von Presseberichten informiert zum Projekt.

Die Klammer dieser drei Werke bildet das grossflächig auf die Eingangssituation aufgeklebte Plakat ‹Mia san mia›: Berge im blauen Dunst, dazu zwei Rosen und ein selig aufschauendes Paar im Stil der Heimatfilme. Im Katalog lesen wir, dass das Paar dem Filmplakat zu ‹Heimaterde› von 1941 entstammt, die Rosen benutzte Jörg Haider in seiner Werbekampagne, die ihn als Landeshauptmann lobt. Haacke färbt die roten Rosen schwarz-blau ein, in den Farben der zwar amtierenden, aber umstrittenen österreichischen Regierung. Der ursprüngliche Satz ‹Kärnten blüht auf› ist ersetzt durch ‹Mia san mia›.

So weit, so plakativ. Jetzt kann man sich
fragen, warum Haacke seinen antifaschistischen Kampf ausgerechnet in der Generali Foundation installiert, einer Kunstinstitution, die für ein politisch aufmerksames, konsequent gesellschaftskritisches Programm steht. Mit
seinen Themen rennt Haacke hier ja offene Türen ein. Aber die Titelzeile ‹Mia san mia› gibt der Installation eine andere Wende. Das ist eine Frage nach nationaler Identität, die zwar durch Schrift und Bildelemente eine konkrete politische Herkunft enthält und in ihrer Dialektform eine ganze Nation adressiert. Aber die tatsächliche Frage, von welchem ‹Wir› die Rede ist, gilt ja nicht nur für das ‹Ihr›, also eine Form von Täterschaft. Sie könnte gerade in der Generali Foundation zu einer über das richtig-falsch-Schema hinausgehenden Frage nach nationaler Identität werden, die nicht im Nachhinein, sondern in der Gegenwart einsetzt. In seinem Gespräch mit Pierre Bourdieu erkärte Haacke, Kunstwerke seien ‹unter anderem ideologische Spielmarken›. Mit ‹Mia san mia› lässt sich tatsächlich spielen.

Ein Rest von dem geplanten Retrospektivkonzept bleibt übrigens erhalten, denn in der im Hauptraum aufgebauten Ausstellung ‹Werke aus der Sammlung› sind zwei Skulpturen Haackes aus den sechziger Jahren zu sehen: ‹Kondensationswürfel›, 1963–65, und ‹Zirkulation›, 1969.

Bis 20.12.2001

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Ausgabe: 12 / 2001
Ausstellung: Mia san mia (Hans Haacke) (07.09.2001 - 20.12.2001)
Institution: Generali Foundation (Wien)
Autor/in: Sabine B. Vogel
Künstler/in: Hans Haacke