Das Kunsthaus Zürich widmet dem einst verteufelten Phänomen Europop eine großräumige Retrospektive
Lächerlich ist, wer hier meditiert
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Wenn die Kunst ins Triviale dringt: Richard Hamiltons Befragung „Just
What Is It That Makes Today’s Homes So Different, So Appealing?“ Foto:
ProLitteris, Zürich |
Von Michaela Schlögl
Der Begriff "Pop" – jene Kunstrichtung, die
alle Welt mit Amerika identifizierte – tauchte erstmals 1955 in London
auf. Und ursprünglich war mit Pop nicht Kunst gemeint, sondern
kommerzielle Massenkultur: Science-Fiction-Filme, Jukeboxes,
Comicstrips. Pop kommt von popular, ohne mit dem deutschen Wort
Volkskunst etwas am bunten Hut zu haben.
Es gibt keine passende Übersetzung für Popular Culture oder Pop Art:
Volkskultur trifft schon gar nicht! Ausgehend von den US
-Massenbildproduzenten bahn te sich Pop seinen Weg über die englische
Architektur in alle Kunstgefilde.
Sündiger Pop
Kunsttheoretiker formulierten den neuen poppigen Stil: in der Kunst,
in der Mode, im Design. Pop war lässig, Pop war bunt, Pop kannte keine
Tabus. Pop hatte frenetische Anhänger, aber auch erboste Kritiker, ja
Hasser. Es war nicht nur die Banalität der Sujets, nicht nur die
Anmaßung, dass plötzlich die jungen Lässigen und Neureichen die
Kunstwelt bestimmten.
Man warf Pop schlicht Unmoral vor. Der Vatikan sprach von
"unzüchtigen Prahlereien", der Kreml ortete einen "tragischen
Karneval", die europäische Kunstkritik ereiferte sich gegen eine
"amerikanische Kunst, die nicht an die Kunst glaubt", und sogar die
amerikanische Kunstkritik selbst verurteilte die "heimtückische
Überheblichkeit und Oberflächlichkeit".
Kunst war auf einmal kein Andachtsbegriff mehr. Andy Warhol meinte:
" The works I was most satisfied with were the cold no comment
paintings." Er kokettierte aber auch: "Ich möchte eine Maschine sein."
Die Provokation gipfelte in seiner Behauptung, die Gemälde gar nicht
selbst zu machen! Neue Reproduktionstechniken unterstützten das
vervielfältigbare Kunstwerk . . . Das Flapsige, die Verweigerung von
Pathos und Geistestiefe, wurden zum neuen Ideal.
Im Katalog der jüngst eröffneten Groß-Retrospektive "Europop" im
Kunsthaus Zürich kann man nun nachlesen: "Wer vor dem Bild einer
Tomatensuppenbüchse, einem Porträt von Flash Gordon oder Popeye in
meditatives Grübeln verfällt, macht sich lächerlich."
Rasender Flächenbrand
Genau das ist es! Die neue, von den Amerikanern mitbefreite Welt
ließ als Kunst gelten, was den Konsum- und Kommerzalltag
widerspiegelte, Bilder der neuen Freizeitwelt wurden genauso kultig wie
Illustrationen der Medienwelt. Das war nicht ganz neu, nur der
Flächenbrand, mit dem die neue Richtung die westliche Welt entzündete,
nahm in nie zuvor gekannter Geschwindigkeit eine ganze Generation ein.
Schon in den 20er Jahren hatte der Luxemburger Edward Steichen, in
bewusster Distanz zu den Lehren von Bauhaus und Konstruktivismus,
verkündet, dass die aufkeimende Konsumindustrie in Hinkunft auch gleich
die ästhetischen – neben den lebensnotwendigen Bedürfnissen der
Konsumenten – befriedigen würde.
Die technischen Möglichkeiten der grafischen Industrie machten es
möglich, dass auf einem Bild auf einmal nicht ein gemalter Käse, eine
gezeichnete Erdbeere, sondern ganze Heerscharen von Käsen,
Waschmittelpackungen oder Marilyns aufmarschierten.
Kritisches Europa
Das militärische Vokabular ist nicht von ungefähr gewählt: Durch die
kriegsbedingte Anwesenheit der US-Army außerhalb Amerikas, im
Einzugsbereich von amerikanischen Truppen und Kasernen, gab es
US-Radiosender und Armyshops. Die binnenamerikanische Konsumkultur
formierte sich als neues Leitbild der Freiheit, des Lebensstils und als
Leitwährung der Schwarzmärkte.
Gleichzeitig mit dem Import von begehrten Schokoladentafeln,
Colaflaschen und Corned-Beef-Büchsen beeinflusste die Jeanskultur das
Bekleidungsverhalten ganzer Kontinente. Die Europäer ahmten das Design
der Radioapparate nach, aus denen Popmusik drang, und während die Reste
europäischer Kolonialpolitik und damit Europas Übersee-Einfluss
dahinschmolzen, schürte die amerikanische Filmindustrie das neue Idol
des American Way of Life. Künstler begannen, die Versatzstücke aus
Filmplakaten und Werbepostern zu Collagen der Konsumwelt
zusammenzufügen.
Die Knallästhetik der Marilyns eines Andy Warhol oder Roy
Lichtensteins Rasterblondinen stehen repräsentativ für eine
amerikanische Waren- und Massenkultur, die ab Mitte der 50er Jahre auch
in Europa wieder Wohlstand, und zwar in vorher nicht geahntem Ausmaß,
brachte.
Dennoch hat sich der Europop einen kritischen Zugang zur Fülle des
Massenkonsums vorbehalten. Europa poppte – und reflektierte zugleich.
Europop
Kunsthaus Zürich
Heimplatz 1
8001 Zürich
http://www.kunsthaus.ch
bis 12. Mai
Dienstag, 25. März 2008
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