Henri Matisse hatte von 1936 bis 1954 hunderte von
Scherenschnitten, dabei das berühmte Künstlerbuch "Jazz", als wesentlichen
Beitrag seines Spätwerks, gestaltet. Seine geschnittenen blauen Akte und
Pflanzen beeinflussten die nächste Generation, besonders Ellsworth Kelly
oder Andy Warhol. Heute ist diese Technik wieder gefragt: David Thorpe,
Waltraud Palme oder Richard Jurtitsch sind nur wenige, die sie einsetzen.
Die Tradition der Wiener Werkstätte dürfte neben Matisse und Pablo Picasso
auch eine große Rolle für den Postbeamten Bruno Linnert (1920-1994)
gespielt haben.
Künstler und Beamter
Linnert ist eine spannende Wiederentdeckung des Kunsthistorikers und
Galeristen Claus Jesina. Linnert führte ein Doppelleben als immer höher
aufsteigender Beamter, der nebenbei ein sehr aktiver Schüler der
Künstlerischen Volkshochschule bei Gerda Matejka-Felden war. Die Malerin
hatte noch an der Akademie am Schillerplatz 1945 hohem Engagement ihre
Stätte für Erwachsenbildung begründet. Ihr Kampf gegen die triste
Nachkriegsstimmung für eine Art neue "Volkskunst" ist legendär. Es galt
damals als progressiv, sich an dieser Institution einzuschreiben. Linnert
findet sich aber auch schon als Teilnehmer der ersten Ausstellung "Maler
aus dem Volke". Bei der zweiten, "Bilder, die wir sehen", gewann er den
ersten Preis mit seinen Scherenschnitten. In der Jury saßen keine
Geringeren als die Professoren der Akademie, Robin Andersen und Albert
Paris Gütersloh oder Josef Dobrowsky, der Chefredakteur der Presse und der
Maler Robert Pipal.
Die originelle Technik und seine ausgefallenen Motive – vor allem die
komplizierten Massenszenen – überzeugten und so wurde der Autodidakt, von
dem auch Zeichnungen, Bilder und kleine Papierplastiken existieren, herum
gereicht. Er konnte im Bereich der Werbegrafik ein wenig Fuß fassen und
entwarf Plakate oder illustrierte Bücher. Seine technische Perfektion ist
so hoch, dass die schwarzen Collagen auf weißem Papier oft an Holz- oder
Linolschnitte erinnern. Seit 1974 war Linnert Amtsdirektor der Post im 9.
Bezirk, 1977 wurde er sogar zum Regierungsrat ernannt.
Trotzdem finden sich zum einen sehr soziale und psychologisch
interessante Beobachtungen: Kriegselend, Zirkus- und Bordellszenen,
Sportler, einzelne Akte, Paare neben Logos für die Gewerkschaft oder
politische Statements. In manchem an den Witz und die Skurrilität eines
Oskar Laske anknüpfend, ist sein Stil stark in Richtung französischer
Kunst (Fernand Léger) ausgerichtet.
Linnert übertrifft mit diesen einzigartig expressiven Schöpfungen so
manchen bekannten Kollegen der Nachkriegskunst in Wien bei weitem.
Scherenschnitte
Galerie 16
(Ottakringer Straße 107, 1160 Wien)
Montag bis Freitag von 10 bis 20 Uhr, 01/486 34 57
Claus Jesina (Kurator)
Bis 23. Februar
Spannende Entdeckung.
Dienstag, 14. Februar
2006