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Kunstberichte

Geschnittene nächtliche Tänze

Die Galerie 16 in Ottakring zeigt spannende Scherenschnitte des Wiener Autodidakten Bruno Linnert
Der Scherenschnitt „Tanzende“ – Musik- und Barszenen waren beliebte Motive des Scherenmeisters Bruno Linnert.  Foto: Katalog Galerie 16

Der Scherenschnitt „Tanzende“ – Musik- und Barszenen waren beliebte Motive des Scherenmeisters Bruno Linnert. Foto: Katalog Galerie 16

Von Brigitte Borchhardt-Birbaumer

Henri Matisse hatte von 1936 bis 1954 hunderte von Scherenschnitten, dabei das berühmte Künstlerbuch "Jazz", als wesentlichen Beitrag seines Spätwerks, gestaltet. Seine geschnittenen blauen Akte und Pflanzen beeinflussten die nächste Generation, besonders Ellsworth Kelly oder Andy Warhol. Heute ist diese Technik wieder gefragt: David Thorpe, Waltraud Palme oder Richard Jurtitsch sind nur wenige, die sie einsetzen. Die Tradition der Wiener Werkstätte dürfte neben Matisse und Pablo Picasso auch eine große Rolle für den Postbeamten Bruno Linnert (1920-1994) gespielt haben.

Künstler und Beamter

Linnert ist eine spannende Wiederentdeckung des Kunsthistorikers und Galeristen Claus Jesina. Linnert führte ein Doppelleben als immer höher aufsteigender Beamter, der nebenbei ein sehr aktiver Schüler der Künstlerischen Volkshochschule bei Gerda Matejka-Felden war. Die Malerin hatte noch an der Akademie am Schillerplatz 1945 hohem Engagement ihre Stätte für Erwachsenbildung begründet. Ihr Kampf gegen die triste Nachkriegsstimmung für eine Art neue "Volkskunst" ist legendär. Es galt damals als progressiv, sich an dieser Institution einzuschreiben. Linnert findet sich aber auch schon als Teilnehmer der ersten Ausstellung "Maler aus dem Volke". Bei der zweiten, "Bilder, die wir sehen", gewann er den ersten Preis mit seinen Scherenschnitten. In der Jury saßen keine Geringeren als die Professoren der Akademie, Robin Andersen und Albert Paris Gütersloh oder Josef Dobrowsky, der Chefredakteur der Presse und der Maler Robert Pipal.

Die originelle Technik und seine ausgefallenen Motive – vor allem die komplizierten Massenszenen – überzeugten und so wurde der Autodidakt, von dem auch Zeichnungen, Bilder und kleine Papierplastiken existieren, herum gereicht. Er konnte im Bereich der Werbegrafik ein wenig Fuß fassen und entwarf Plakate oder illustrierte Bücher. Seine technische Perfektion ist so hoch, dass die schwarzen Collagen auf weißem Papier oft an Holz- oder Linolschnitte erinnern. Seit 1974 war Linnert Amtsdirektor der Post im 9. Bezirk, 1977 wurde er sogar zum Regierungsrat ernannt.

Trotzdem finden sich zum einen sehr soziale und psychologisch interessante Beobachtungen: Kriegselend, Zirkus- und Bordellszenen, Sportler, einzelne Akte, Paare neben Logos für die Gewerkschaft oder politische Statements. In manchem an den Witz und die Skurrilität eines Oskar Laske anknüpfend, ist sein Stil stark in Richtung französischer Kunst (Fernand Léger) ausgerichtet.

Linnert übertrifft mit diesen einzigartig expressiven Schöpfungen so manchen bekannten Kollegen der Nachkriegskunst in Wien bei weitem.

Scherenschnitte

Galerie 16

(Ottakringer Straße 107, 1160 Wien)

Montag bis Freitag von 10 bis 20 Uhr, 01/486 34 57

Claus Jesina (Kurator)

Bis 23. Februar

Spannende Entdeckung.

Dienstag, 14. Februar 2006


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