Salzburger Nachrichten am 19. Oktober 2005 - Bereich: Kultur
Kultur ist keine Ware

Die Unesco, die UNO-Organisation für Wissenschaft, Erziehung und Kultur, hat eine Konvention zum Schutz der kulturellen Vielfalt zustande gebracht.

Rudolf BalmerParis (SN). In der Unesco, der UNO-Organisation für Wissenschaft, Erziehung und Kultur, haben die USA die letzte Runde in ihrem Kampf gegen eine Konvention zum Schutz der kulturellen Vielfalt verloren. Der Verabschiedung eines völkerrechtlich bindenden Abkommens zur Verteidigung der künstlerischen und kulturellen Ausdrucksformen und Inhalte durch die Vollversammlung steht nun nichts mehr im Wege.

Ein Vorentscheid fiel am Montagabend in der Kulturkommission der Unesco. Eine sehr deutliche Mehrheit von 151 Delegationen sprach sich für die Annahme des Konventionsentwurfs ohne Abänderungen aus. Nur die USA und Israel stimmten dagegen, lediglich Australien und der Pazifik-Inselstaat Kiribati enthielten sich. Das Verdikt ist klar. Entsprechend ungehalten reagierte Louise Oliver (USA) auf einer Pressekonferenz: "Wir sind sehr enttäuscht!" Aus amerikanischer Sicht handelt es sich um einen "irreführenden Text", der unter dem "Vorwand" der Verteidigung künstlerischer Freiheit sogar die Politik von Diktaturen rechtfertigen könne und in wirtschaftlicher Sicht den Protektionismus durch die Hintertür einführe.

Bis zum Schluss hatten die USA versucht, mit 24 Änderungsanträgen den von mehreren Expertentreffen redigierten und revidierten Entwurf für diese Konvention bis zur Nutzlosigkeit zu verwässern. Den USA ging es in diesem Grundsatzstreit nicht um die Kultur, sondern um die Handelspolitik im Rahmen der Welthandelsorganisation WTO. Filme, Video- und Musikaufnahmen, Bilder, Bücher und andere Formen des Kulturschaffens sollen behandelt werden wie andere Waren. Dies ist aber nicht die Ansicht der meisten 191 Länder, die der Unesco angehören. Morgen, Donnerstag, wird die Unesco-Generalkonferenz voraussichtlich mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit die Konvention verabschieden.

Die USA steckten in der Unesco, die in diesem Jahr ihren 60. Geburtstag feiert, eine schwere diplomatische Niederlage ein. Zahlreiche Delegationen feierten hingegen das Ende der mehrjährigen Debatte als "historischen Sieg für den kulturellen Reichtum der Menschheit". Schon in der Diskussion in der Kommission war deutlich geworden, wie groß das Bedürfnis der Länder aller Kontinente ist, mit dem verbrieften Recht, ihr eigenes kulturelles Schaffen politisch und auch finanziell zu fördern, ihre Identität gegen die übermächtigen Importe der amerikanischen Massenproduktion zu verteidigen.

"Ohne kulturelle Vielfalt ersticken wir", hatte der brasilianische Kulturminister Gilberto Gil ausgerufen. Der Delegationschef von Mauretanien betrachtet die Unesco-Konvention sogar als eine Art "Gegengift zur Globalisierung". Auf der Rednertribüne wurden die amerikanischen Wirtschaftsinteressen nie genannt. Nicht selten fielen in den Diskussionen in den Korridoren aber Worte wie "amerikanischer Kulturimperialismus", "gefährliche Standardisierung" oder "McDonaldisierung der Kultur".

Etwas kühler erklärte der Brite Timothy Craddock im Namen der Europäischen Union, die in dieser Debatte einmal geschlossen auftrat, die Konvention mit ihren 30 Artikeln schaffe einen "kohärenten, klaren und ausgewogenen Rahmen". Sie wird es erlauben, bei den künftigen WTO-Verhandlungen für die Kultur eine Sonderstellung geltend zu machen und die kulturelle Produktion im Namen der Diversität mit Subventionen zu fördern, was die Welthandelsorganisation sonst als Verfälschung des Wettbewerbs verbieten möchte.