17.04.2003 22:50
Trauer und Tabu
Jenseits von
peinlich-pathetischen Manifestationen: Eine Gruppenschau zum Thema Trauer im
Augarten
Jenseits von peinlich-pathetischen Manifestationen
stellte das Zentrum Zeitgenössischer Kunst im Augarten eine Gruppenschau zum
Thema Trauer zusammen. Gleichnishafte Bilder zu einem Gefühl, das hier und heute
mit Tabus belegt wird.
Wien - Trauer muss die Kunst tragen, zumindest im Zentrum für
Zeitgenössische Kunst der Österreichischen Galerie Belvedere. Der
Ausstellungsstart in der Karwoche sitzt gut. Rituelle Trauer (und Trost)
kulminiert in dieser den Christen hochheiligen Woche. Andererseits handelt es
sich dabei um ein Gefühl jenseits von Religionen und Konfessionen.
Ein
in der Antike mit ihren tragischen Helden oft bildlich dargestellter Ausdruck
mit Schweigen, Weinen oder Schreien - wofür das Englische insgesamt das Wort
"cry" parat hält. Wechselnde Gefühlszustände, die Yoshimoto Naras gar nicht
herzigen Comiczeichnungen von Kindern offenbaren.
Heute gilt Trauer,
obwohl tragische Helden nie aussterben, als Tabuthema in unseren Breiten, so der
Ausstellungskurator Thomas Trummer. Auch die come.to/trauer-
Angehörigenbetreuung im Internet vermisst gängige Formeln, "schützende Riten
oder Trauerbräuche". Kollektive Trauer wie die nach 9/11 oder anlässlich von
Kriegen sei bei der schon lange geplanten Gruppenschau noch nicht aktuell
gewesen, betont Trummer. Wohlüberlegt hat er von vordergründigen wie
pathetischen Aktionen abgesehen und anhand von sieben internationalen Künstlern
quasi gleichnishafte Bilder gesucht.
Ausgangspunkt war Felix
Gonzalez-Torres, der dem Komplex Trauer und Wut angesichts des langsamen Aids-
2. Spalte Sterbens seines Freundes neue und unverbrauchte Bilder abgerungen hat.
Aus den beiden Arbeiten, einer Friedhofsblumen-Fotografie und einer von der
Decke hängenden Lichterkette, erschließt sich seine Arbeit nicht ganz - das ist
allerdings das Los einer Gruppenausstellung.
Tragisch-makaber sind die
Begleitumstände des Drei-Minuten-Videos von Bas Jan Ader, der sich ein
Selbstporträt als Trauernder abringt: I'm too sad to tell you. Ader ist seit
1975 verschollen, als er in einem kleinen Boot den Atlantik überqueren wollte.
Jüngere Künstler wie etwa Hans Scha 3. Spalte bus beziehen sich wieder auf
dessen radikale Kunst.
Symbolische körperliche Trauerarbeit, ein
Terminus technicus von Freud, leistet Paul Petritsch (mit Nicole Six) am Video,
in dem er einen Kreis ins See-Eis hackt. Tragikomische Elemente wohnen Tacita
Deans historischen Fotos von Unglücksfällen inne. Die Britin nimmt dabei an, es
seien Schlussbilder von Filmen, graviert Szenenbeschreibungen ein. Russian
Ending, der Titel der Serie, bezieht sich auf eine dänische Firma, die vor der
Hollywood-Ära jeweils zwei Filmschlüsse produzierte, einen für die USA und
einen, naturgemäß den tragischen, für Russland. Ein verschwommenes Bootsbild
wird in Charons Fähre am Stix umgedeutet, "Exit Hades".
William Kentridge
zieht in seinem artifiziellen, bei der Documenta11 gezeigten Video, das u. a.
Schattenspiel 4. Spalte techniken und Malerei vereint, lose Rückschlüsse vom
habsburgischen Triest am Rande der Donaumonarchie zum Apartheid-Regime seines
Heimatlandes.
Tragische Aktualität erhielt die Arbeit des Belgraders
Zoran Naskovski. Er lässt zu Found-Footage-Filmschnipseln von JFKs Tod in Dallas
ein gleichnamiges, 1963 auf Single erschienenes serbisches Klagelied ertönen.
Parallelen in der Ikonografie der trauernden Ehegattin mit den beiden Kindern
ergeben sich bei der Fotogegenüberstellung von Jackie und der Witwe des im März
ermordeten serbischen Präsidenten Zoran Djindjic. "Auf Wiedersehen, serbischer
Kennedy", titelte die ausgestellte Zeitung.
Trauer ist immer ein Zeichen
von Verlust. Im Fall dieser Ausstellung ist sie ausnahmsweise ein Gewinn.(DER
STANDARD, Printausgabe, 18.4.2003)