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Kunstmarkt: Über den Rand des Kontinents

02.10.2010 | 18:12 | von Sabine B. Vogel (Die Presse)

Drei Wiener Galerien entziehen sich in diesem Herbst dem immer noch auf Westkunst eingeschworenen Kanon.

Die Kunst der Moderne ist eine rein westliche Angelegenheit. Nicht westliche Kulturen kommen lediglich als Projektionsfläche oder Bildmotiv vor. Die Kolonien galten als „unzivilisiert“ und daher in den westlichen Kanon nicht integrierbar. Mit dem Beginn der Globalisierung ändert sich diese überhebliche Haltung zwar. Es entsteht langsam das Bewusstsein, dass wir auf viele „Modernen“ zurückblicken können und großartige Kunst nicht nur in der einen Region entsteht. Aber auf dem Kunstmarkt dominiert heute noch immer deutlich die Westkunst.


Erinnern an das Erdbeben von Sichuan. Umso überraschender, dass uns in Wien gleich drei Galerien über den Rand Westeuropas schauen lassen. In der Christine König Galerie präsentiert der chinesische Superstar Ai Weiwei Filme und Fotografien rund um sein Projekt „Remembering“, mit dem er an das Erdbeben von Sichuan im Jahr 2008 erinnert, bei dem Tausende von Schulkindern starben. Die in Südafrika geborene Kuratorin Claire Breukel zeigt Künstler aus Afrika und Lateinamerika in der Hilger Brotkunsthalle – und pünktlich zum 200-jährigen Unabhängigkeitstag von Mexiko am 16.September eröffnet der mexikanische Kurator Patrick Charpenel seine Ausstellung „De Frente al Sol“ („Der Sonne entgegen“) in der Galerie Martin Janda mit einer neuen Generation junger Künstler aus Lateinamerika.


Betont einfache Mittel. Für die achtzehn Künstler aus acht Ländern hat der international renommierte Kurator eine eigene Ausstellungsarchitektur entworfen. Darin treffen Künstler wie David Lamelas mit einem frühen Werk von 1975 auf den in eben diesem Jahr geborenen Kolumbianer Gabriel Sierra, die politisch engagierte Minerva Cuevas auf den von internationalen Biennalen bekannten Kubaner Carlos Garaicoa. Sie alle vereint eine faszinierend poetisch-konzeptuelle Methode, in der sie Paradoxien der globalen Kultur in lokalen Kontexten in Bilder übersetzen. So fotografiert Fernando Ortega das über Nacht gesponnene Spinnennetz in einer Harfe ohne Saiten – zugleich Sinnbild für ein stilles Konzert, aber auch für das spielerische Umfunktionieren übernommener Techniken. Jennifer Allora & Guillermo Calzadillas füllen zwei Kanister mit Öl und Wasser und zeigen dazu die Fotografie einer bunt schillernden Lacke unter dem lakonischen Titel „The Nature of Conflict“. Immer sind es betont einfache Mittel, mit denen hier die Künstler einen Alltag ansprechen, der uns nicht exotisch erscheint und uns gleichzeitig doch über kulturelle Unterschiede, aber auch Folgen der Kolonisation nachdenken lassen.


Postkoloniale „Third Identity“. Die koloniale Vergangenheit ist auch der gemeinsame Nenner der neun Künstler aus Afrika, Süd- und Mittelamerika in der „Hilger Brotkunsthalle“. „Coca-colonized“ nennt Claire Breukel, hauptberuflich „Creative Curator“ bei Puma, ihre Ausstellung. Der Titel spielt auf die Dominanz der westlichen Kultur an und zeigt, wie diese ehemalige Einbahnstraße heute erweitert bzw. verändert wird. Zur Erklärung verwendet Breukel dafür den Begriff der „Third Identity“, also nicht die erste ursprüngliche, nicht die zweite kolonialisierte, sondern eine postkoloniale dritte Identität, die spielerisch und humorvoll Lokales mit Kolonialem und Globalem verbindet. So malt Anton Kannemeyer im Stil der Tim-und-Struppi-Comics Rassismen im Post-Apartheid-Südafrika, und Baudouin Mounda zeigt uns mit seinen „Hip-Hop and Society“-Fotografien ein kontrastreiches Bild der kongolesischen Gesellschaft.

Wie einen Fries platziert Peterson Kamwathi Waweru seine fünf Meter langen Kohlezeichnungen von Menschenreihen. Er wolle die „Energie und den Symbolgehalt“ solcher Reihen – die „a normal way of life in Kenya“ sind – erkunden. „Queues are very much a manifestation of limitations and how man deals with that“, erklärt der Künstler. Darin kann auch die Gemeinsamkeit der drei Ausstellungen gesehen werden, denn immer wieder werden hier emotional aufgeladene Bilder gefunden, die von den Grenzen und Freiheiten einer neuen, postkolonialen und nachmodernen Gesellschaft handeln.

Ai Weiwei
Christine König Galerie, Schleifmühlgasse 1A.
Bis 6.11.

De Frente del Sol
Galerie Martin Janda, Eschenbachgasse 11.
Bis 30.10.

Coca-colonized
Hilger Brotkunsthalle, Absberggasse 27.
Bis 20.11.


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