Die Kunst der Moderne ist eine rein westliche Angelegenheit. Nicht westliche Kulturen kommen lediglich als Projektionsfläche oder Bildmotiv vor. Die Kolonien galten als „unzivilisiert“ und daher in den westlichen Kanon nicht integrierbar. Mit dem Beginn der Globalisierung ändert sich diese überhebliche Haltung zwar. Es entsteht langsam das Bewusstsein, dass wir auf viele „Modernen“ zurückblicken können und großartige Kunst nicht nur in der einen Region entsteht. Aber auf dem Kunstmarkt dominiert heute noch immer deutlich die Westkunst.
Erinnern an das Erdbeben von Sichuan. Umso überraschender, dass
uns in Wien gleich drei Galerien über den Rand Westeuropas schauen
lassen. In der Christine König Galerie präsentiert der chinesische
Superstar Ai Weiwei Filme und Fotografien rund um sein Projekt
„Remembering“, mit dem er an das Erdbeben von Sichuan im Jahr 2008
erinnert, bei dem Tausende von Schulkindern starben. Die in Südafrika
geborene Kuratorin Claire Breukel zeigt Künstler aus Afrika und
Lateinamerika in der Hilger Brotkunsthalle – und pünktlich zum
200-jährigen Unabhängigkeitstag von Mexiko am 16.September eröffnet der
mexikanische Kurator Patrick Charpenel seine Ausstellung „De Frente al
Sol“ („Der Sonne entgegen“) in der Galerie Martin Janda mit einer neuen
Generation junger Künstler aus Lateinamerika.
Betont einfache Mittel. Für die achtzehn
Künstler aus acht Ländern hat der international renommierte Kurator
eine eigene Ausstellungsarchitektur entworfen. Darin treffen Künstler
wie David Lamelas mit einem frühen Werk von 1975 auf den in eben diesem
Jahr geborenen Kolumbianer Gabriel Sierra, die politisch engagierte
Minerva Cuevas auf den von internationalen Biennalen bekannten Kubaner
Carlos Garaicoa. Sie alle vereint eine faszinierend
poetisch-konzeptuelle Methode, in der sie Paradoxien der globalen
Kultur in lokalen Kontexten in Bilder übersetzen. So fotografiert
Fernando Ortega das über Nacht gesponnene Spinnennetz in einer Harfe
ohne Saiten – zugleich Sinnbild für ein stilles Konzert, aber auch für
das spielerische Umfunktionieren übernommener Techniken. Jennifer
Allora & Guillermo Calzadillas füllen zwei Kanister mit Öl und
Wasser und zeigen dazu die Fotografie einer bunt schillernden Lacke
unter dem lakonischen Titel „The Nature of Conflict“. Immer sind es
betont einfache Mittel, mit denen hier die Künstler einen Alltag
ansprechen, der uns nicht exotisch erscheint und uns gleichzeitig doch
über kulturelle Unterschiede, aber auch Folgen der Kolonisation
nachdenken lassen.
Postkoloniale „Third Identity“. Die koloniale Vergangenheit ist
auch der gemeinsame Nenner der neun Künstler aus Afrika, Süd- und
Mittelamerika in der „Hilger Brotkunsthalle“. „Coca-colonized“ nennt
Claire Breukel, hauptberuflich „Creative Curator“ bei Puma, ihre
Ausstellung. Der Titel spielt auf die Dominanz der westlichen Kultur an
und zeigt, wie diese ehemalige Einbahnstraße heute erweitert bzw.
verändert wird. Zur Erklärung verwendet Breukel dafür den Begriff der
„Third Identity“, also nicht die erste ursprüngliche, nicht die zweite
kolonialisierte, sondern eine postkoloniale dritte Identität, die
spielerisch und humorvoll Lokales mit Kolonialem und Globalem
verbindet. So malt Anton Kannemeyer im Stil der Tim-und-Struppi-Comics
Rassismen im Post-Apartheid-Südafrika, und Baudouin Mounda zeigt uns
mit seinen „Hip-Hop and Society“-Fotografien ein kontrastreiches Bild
der kongolesischen Gesellschaft.
Wie einen Fries platziert Peterson Kamwathi Waweru seine fünf Meter langen Kohlezeichnungen von Menschenreihen. Er wolle die „Energie und den Symbolgehalt“ solcher Reihen – die „a normal way of life in Kenya“ sind – erkunden. „Queues are very much a manifestation of limitations and how man deals with that“, erklärt der Künstler. Darin kann auch die Gemeinsamkeit der drei Ausstellungen gesehen werden, denn immer wieder werden hier emotional aufgeladene Bilder gefunden, die von den Grenzen und Freiheiten einer neuen, postkolonialen und nachmodernen Gesellschaft handeln.
Ai Weiwei
Christine König Galerie, Schleifmühlgasse 1A.
Bis 6.11.
De Frente del Sol
Galerie Martin Janda, Eschenbachgasse 11.
Bis 30.10.
Coca-colonized
Hilger Brotkunsthalle, Absberggasse 27.
Bis 20.11.