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Grazer Kunsthaus: Amerika hat die Bilder befreit

25.09.2009 | 19:34 | BARBARA PETSCH (Die Presse)

Steirischer Herbst: Die Ausstellung "Painting Real - Screening Real" über Warhol und verwandte Künstler erzählt im Grazer Kunsthaus bis 10.Jänner vom Beginn der Medien-Ära.

Wie hat das eigentlich angefangen? Die immer schneller wechselnden Bilder, die Bilderfluten, die Anhäufung von Katastrophen und Brutalität, allgegenwärtig, vervielfältigt in TV und Film? Wie ist es über uns gekommen, das Medienzeitalter? „Warhol, Wool, Newman, Painting Real – Screening Real, Conner, Lockhart, Warhol“ heißt etwas spröde und umständlich eine Ausstellung im Kunsthaus Graz, die zum Steirischen Herbst eröffnet wurde. Joanneum-Intendant Peter Pakesch hat sie gestaltet.

Die Schau zieht Parallelen zwischen der Popart-Ikone Andy Warhol (1928–1987) und Kollegen, die seine Modelle aufgriffen und weiterentwickelten: Mit dem abstrakten Expressionisten Barnett Newman (1905–1970) war Warhol befreundet. Bruce Conner (1933–2008) extrapolierte Warhols Desaster-Filme. Christopher Wool (*1955) variierte Warhols Wurzeln in der Werbung in seinen prägnanten, oft witzigen Buchstaben-Kombinationen: „Fuck them, if they can't take a joke“, steht auf einem übrigens „Untitled“ genannten Bild, auf einem anderen: „Hole in Head“, auf einem dritten: „You make me“.

Sharon Lockhart (*1964) schließlich zeigt, was aus Amerika wurde: Auf einem Filmstill ist ein Mensch zu sehen, der einen Korb durchs Wasser zieht, dahinter eine weite, überflutete Landschaft, schön und bedrohlich zugleich: „Double Tide“ (2009) heißt die Komposition. Auf einem anderen Filmstill, „Exit“ genannt, sieht man laufende Menschen im Regen; flüchten sie oder verlassen sie nur die U-Bahn-Station? Von Kennedy zu George W. Bush schlägt die Ausstellung einen Bogen, von „Amerika, du hast es besser“ zum heutigen beschädigten Image und dem verlorenen Glauben der Welt an die USA.

 

Nicht bloß durchwandern!

Man kann die Schau somit aus künstlerischer wie aus politischer Perspektive betrachten. Auf jeden Fall sollte man sich Zeit nehmen, sich einlassen auf die komplexen Inhalte, nicht bloß durchwandern. Denn auf den ersten Blick wirken die sorgfältig arrangierten Kombinationen museal: die kleinen Köpfe von Jackie Kennedy, Marilyn Monroe und Warhol selbst, tausend Mal hat man sie gesehen. Gemein, dass sich just die Innovationen immer am schnellsten abnützen.

Das Effektvollste sind die aus vorhandenem Material montierten Filme Bruce Conners, rasende zeitgeschichtliche Tableaus. „A Movie“ (1958) zeigt Atombomben-Explosionen und berstende Brücken zu Respighis expressiven „Pini di Roma“. „Report“ (1967) umrundet in nicht weniger rasender Schnelle den Kennedy-Mord, kombiniert mit allem, was in der Zeit sonst noch über den Bildschirm flimmerte, inklusive Werbespots. Parallel dazu kann man die Warhol-Film-Klassiker „Eat“, „Kiss“, „Blow Job“ oder „Screen Tests“ sehen. Hier wird wiederum die Langsamkeit, die Real Time, gefeiert. Angeblich wurde der hübsche Mann, der seinen „Blow Job“ genießt – man sieht nur seinen Kopf –, immer wieder unterbrochen, wenn die Filmrolle zu Ende war.

 

Warhol: Nervenzusammenbruch mit acht

Die überbordende Obszönität der Medien, den kalten Voyeurismus – auch das hat Warhol miterfunden. Und die raffinierte Selbstinszenierung zwischen Exhibitionismus und Verweigerung. Während er seine Modelle ausbeutete, sie in jeder noch so peinlichen Lage aufnahm, jeden Exzess protokollierte, kultivierte er für sich selbst Distanz: Ein Selbstporträt zeigt ihn im Gegenlicht, knabenhaft, die zwei Finger, die die Denkerpose zu betonen scheinen, verschließen den Mund.

Warhol erlebte immer wieder schwere Zeiten: Mit acht erlitt er einen Nervenzusammenbruch, in der Rekreation verfiel er den Comics und Kinofilmen. Als er 40 war, schoss eine radikale Frauenrechtlerin auf ihn, er wurde lebensgefährlich verletzt, eine Zäsur in seinem damals schon sehr erfolgreichen künstlerischen Leben. 1972 starb seine geliebte Mutter. Immer wieder beschäftigte sich Warhol mit dem Tod, er war religiös. In seiner Erscheinung kultivierte der Mann, der keineswegs dem amerikanischen Schönheitsideal entsprach und seine Nase operieren ließ, die Kombination von Kultus und Kultur, die in der Kunst so wirkungsvoll ist. Ohne Aura kein Erfolg. Der Künstler-Gott hüllt sich in sein ewiges Geheimnis. Das ist zwar nicht neu in der Kunstgeschichte, aber Warhol erschuf sozusagen diesen Mythos für die US-Nachkriegsmoderne.

Damals war Amerika nicht nur künstlerisch der Nabel der Welt, nachdem die totalitären Regime, Kommunismus und Nationalsozialismus, den Triumph der Bilder bereits vorbereitet hatten. Dort befestigten sie die Macht des Bösen. Amerika hat die Welt und die Bilder erlöst und befreit. Diese fundamentalen Umwälzungen sind in letzter Zeit verblasst. Die US-Politik: ein weltweiter Reibebaum, Hollywood: eine weithin entseelte Kommerzmaschine. So gesehen ist die Schau im Kunsthaus nicht nur ein Augenschmaus, ein schickes Event, ein Fressen für Sixties-Nostalgiker, sondern eben auch ein Beitrag, wie Geschichte durch Kunst aufgearbeitet, erhellt werden kann.

„Painting Real – Screening Real“, bis 10.Jänner, Kunsthaus Graz, Di–So 10–18h, Eintritt: 7€, ermäßigt 3€, Tel. 0316/80179200.


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