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Wie viel Kunst braucht die Stadt?

01.10.2010 | 18:36 | VON ULRIKE WEISER (Die Presse)

Kunst im öffentlichen Raum. Hauptbahnhof, Aspern und die Spuren der Vergangenheit: Was die neu bestellte Kunst-Jury mit der Stadt vorhat. Freiluftkunst soll in den neu geplanten Stadtteilen eine Rolle spielen.

Heute, Samstag, ist es so weit. Ab heute darf nicht nur der Bürgermeister, ein bekanntlich rarer Fahrgast („Mit der U-Bahn fahre ich nur, wenn ich nichts zu arbeiten habe“), sondern kann jeder mit der U2 sechs brandneue Stationen weiter fahren. Wobei sich ein Aussteigen bei „Donaumarina“ und „Donauspital“ eigentlich erst 2011 ästhetisch lohnt. Dann nämlich sollen die Ergebnisse des Kunstwettbewerbs für die Haltestellen realisiert werden.s

Die Idee, Wiens U-Bahn, ähnlich wie die Stockholms, als Plattform für Kunst im öffentlichen Raum zu nutzen, ist zwar nicht ganz neu, angesichts der geplanten Erweiterungen aber ziemlich aktuell und daher auch Teil des neuen Programms der Wiener „Kunst im öffentlichen Raum-GmbH“ (kurz: KÖR-GmbH). Bereits 2007 wurde der KÖR-Fonds in eine GmbH umgewandelt und unter der Geschäftsführung von Gerald Matt und Bettina Leidl bei der Kunsthalle angesiedelt. Das Geld kommt nach wie vor von den Abteilungen für Stadtentwicklung, Wohnbau und Kultur, für die Auswahl der zu fördernden Projekte und die Wettbewerbe ist eine fünfköpfige Jury zuständig. Die aktuelle wurde soeben vom Kulturstadtrat bis 2013 bestellt. Es sind dies: Letizia Ragaglia, Direktorin des Museion Bozen, Dirk Luckow, Direktor der Deichtorhallen in Hamburg, der Architekt Gregor Eichinger (er sitzt auch im Kunstbeirat der BIG, der Bundesimmobiliengesellschaft), Berthold Ecker (MA 7) und als Präsidentin die Kuratorin Lilli Hollein.
Zwar stehen die Jurytreffen noch aus, aber einige (logische) Schwerpunkte schon fest. Etwa dass Freiluftkunst in den neuen Stadtteilen eine Rolle spielen muss. Wobei es nicht um die Menge an Projekten, sondern sinnvolle Platzierung gehe, sagt Hollein. So sei, sagt Leidl,  für die Verbindung Südtiroler Platz/Hauptbahnhof ein Wettbewerb geplant. Und auch in Aspern seien prominente Flächen „reserviert“. Allerdings können Planung und Realisierung bei Großprojekten auseinanderklaffen: Für den neuen WU-Campus sah die BIG ein Kunstprojekt vor. Inzwischen hat die Abwicklung des Baus im Zeit- und Kostenrahmen Vorrang. Zumindest zunächst.

Flakturm und Turnertempel


Tatsächlich ist die Kostenfrage eine, die auch Hollein in Zukunft stellen möchte. Mit 800.000 Euro ist die GmbH im Vergleich zu Niederösterreich (1,436 Mio.) eher überschaubar budgetiert. Auch wenn – wie die Stadt betont – durch Kooperationen (etwa mit den Wiener Linien) der reale Finanzrahmen höher sei. Trotzdem fürchtet Hollein, dass sich die Jury öfter entscheiden muss: entweder eine permanente Installation mit Signalwirkung oder lieber mehrere kleinere temporäre Projekt. In der Bilanz der vergangenen drei Jahre stehen 17 permanente 66 befristeten Werken gegenüber.s
Wobei Letztere den Vorteil haben, dass sie sich für „Themencalls“ eigenen, die man forcieren will. Dabei handelt es sich um Kunst, die sich mit einer konkreten, aktuellen Fragestellung – dem „Zeitgeist“ quasi – auseinandersetzt und die Bevölkerung partizipativ einbinden kann. „Gerade Kunst im öffentlichen Raum kann Denkanstöße bringen, weil sie mehr Menschen erreicht“, sagt Hollein. Das heißt: insofern die Menschen die Kunst bemerken. In der Vergangenheit, sagt Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny, seien nämlich bisweilen Kunstwerke „vereinsamt und unreflektiert“ herumgestanden. Mit mehr Vermittlung und „Art Walk“-Broschüren für Kunstspaziergänge will man das vermeiden.

Vor allem da die Kunst im öffentlichen Raum beim Umgang mit den Spuren der Vergangenheit helfen soll.  „Bei der Betrachtung von Denkmälern oder Straßennamen werden wir die Jury verstärkt einbeziehen“, so Mailath-Pokorny. Im Herbst 2011 soll etwa die Installation Turnertempel fertig werden. Das Projekt erinnert an die zerstörte Synagoge im 15. Bezirk. Auch beim Flakturm im Esterházypark will man darauf achten, dass der Schriftzug von Lawrence Wiener beim geplanten Umbau durch das Haus des Meeres erhalten bleibt. Immerhin: Die bisherigen Entwürfe sehen eine Integration vor.

Und sonst? Bleiben die Mühen der Ebene: „Kunst im öffentlichen Raum – tatsächlich eine Gefahr?“, fragte das Wiener Museum für Angewandte Kunst diese Woche. Der Anlass: eine Teppich-Installation vor dem Museum wurde von der Magistratsabteilung 46 nicht genehmigt. Der unebene Untergrund gefährde die Sicherheit der Fußgänger, und durch eine Umzäunung lässt sich das Risiko angeblich nicht beheben. In der Regel, betont Leidl aber, klappe die Kooperation mit den Behörden gut. Und auch mit den Bezirken (diese haben bei temporären Projekten kein Veto) habe man kaum Probleme. Wobei, zugegeben: Die Durchsetzung des Pinocchio-ähnlichen „Tagediebs“ von Cosima von Bonin am Graben mitten in der City sei nicht einfach gewesen, so Leidl diplomatisch. Trotzdem wird Kunst auch künftig am Graben präsent sein: Denn wie der Morzinplatz und Teile des Karlsplatzes sei dieser für Kunst im öffentlichen Raum gewidmet.


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