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vom 06.10.2007 - Seite 028
Teleban zieht in den Bilderkrieg

Eine Art "Nürnberger Prozess" gegen die Mode-, Werbe- und Medienwelt erwartet der italienische Fotograf Oliviero Toscani, der derzeit mit einer essgestörten, abgemagerten nackten Frau als Plakat-Motiv für Kontroversen sorgt.

Von Georg Leyrer

"Ich hoffe, ich bin dann noch am Leben", sagte Toscani. "Alle sagen, dass mein 'Anorexie'-Bild schockierend sei, ich hingegen bin schockiert darüber, was diese Gesellschaft alles von uns verlangt, nur damit wir ihr Genüge tun. Wir leben in einer anorektischen Welt."

In dieser von falschen (Selbst-)Bildern bestimmten Welt müsse man "gut aussehend, erfolgreich, reich" sein. "Wir haben alle Angst, das nicht zu erfüllen, nicht zu schaffen", so Toscani.

Wegen dieses Drucks und seiner oftmals fatalen Auswirkungen müssten sich die Verantwortlichen einmal vor Gericht rechtfertigen, ist Toscani überzeugt. Ihm komme dabei eine Sonderrolle zu: "Ich werde sowohl anklagen als auch Angeklagter sein", prognostiziert Toscani, der mit seinen eindrücklichen Bildern von HIV-Positiven, einem blutdurchtränkten Gewand oder von Flüchtlingen bei seinen Benetton-Werbungen für Aufsehen und Kritik gesorgt und damit die Bilderwelt sowohl bedient als auch kritisiert hat wie kaum ein anderer.

Mit seinem Bild der essgestörten Frau, die bei der Aufnahme nur noch 31 Kilo wog, zeige er die Kriege, die in der Gesellschaft stattfinden. "Der banalste Krieg ist der im Irak." Die Terroranschläge vom 11. September 2001 "haben die Kunst getötet", so Toscani. "Wie kann man eine Videoinstallation machen nach dem, was man an diesem Tag gesehen hat? Die Kunst steckt seither in einer großen Krise. Deswegen ist diese Gesellschaft so traurig."

Angst vor der Kunst

Die Gesellschaft habe "Angst vor Kunst" und ziehe sich auf jenes Schaffen zurück, das den so genannten "guten Geschmack" bediene - "aber das ist keine Kunst". Kunst habe nichts mit Moral oder Geschmack zu tun und müsse subversiv sein. Heute aber "muss man dem guten Geschmack dienen, um ein Publikum zu haben, um erfolgreich und reich zu werden."

Den Einwand, dass er ohne Rücksicht auf den guten Geschmack auch reich und berühmt geworden sei, wischt Toscani zur Seite: "Ich bin sehr reich - denn ich weiß nicht, wie viel Geld ich habe. Ich war noch nie im Leben auf einer Bank. Meine Frau macht das. Ich frage sie: Kann ich mir ein neues Auto kaufen? Wenn sie Ja sagt, dann mache ich das."

Er selber versuche, sich von den alles umgebenden Bildern fernzuhalten: "Ich schaue nicht fern, ich lese keine Magazine mit vielen Bildern. Ich wollte, ich könnte das Fernsehen abschaffen." Toscani wünscht sich ein Gerät, das auf allen Bildschirmen der Welt "Gott erscheinen lässt, der sagt: 'Wenn ihr weiter fernsehen wollt, werdet ihr sterben'", so der Fotograf, der sich in einem Wortspiel auf die afghanischen Taliban als "Teleban" sieht.

Die Ars Electronica, die Toscani zur Eröffnung der Ausstellung "u19 - freestyle computing" (bis 28. Oktober im net.culture.space im Wiener MuseumsQuartier) einlud, hat sich damit einen scharfen Kritiker der Idee eingehandelt, dass Computer und Technologie für Kreativität förderlich seien. "Sie machen stumm und blind", so Toscani. "Denn Technologie ist ein unglaublich starkes Werkzeug, und Kreative sind oft schwach." Man brauche kreative Leute, um mit neuen Technologien umgehen zu lernen - und "eine Menge an Idioten, die diesen folgen".

Die Kontroverse um sein "Anorexie"-Bild kümmert ihn nicht. "Die Menschen werden zornig, weil sie sich selbst in dem Bild sehen", so Toscani. "Ich suche nicht nach Konsens. Das Schlimmste, das man mir sagen kann, ist: Ich stimme dem zu, was Sie sagen."

Plakativ wie stets: Oliviero Toscani zielt mit dem "Nolita-Plakat" auf das gestörte Schönheitsideal. Foto: Reuters

Ich bin eine neue Art von Reporter. Ich brauche nicht auf ein Schlachtfeld zu gehen, um ein Bild vom Krieg zu machen.

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Oliviero toscani

Fotograf


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