Salzburger Nachrichten am 30. Mai 2006 - Bereich: Kultur
Vom Traum, nicht zu entgleisen

"Ich will der Kunst nichts aufzwängen", sagt der deutsche Künstler Jonathan Meese. In Salzburg gestaltete er im Rahmen des Festivals "Kontracom" das Neutor. "Ich will der Kunst nichts aufzwängen", sagt der deutsche Künstler Jonathan Meese. In Salzburg gestaltete er das Neutor, in Hamburg ist derzeit ...

Gudrun Weinzierl Interview Jonathan Meeses "Erztunnel aus Saalgold", eine Abfolge von wild-wüsten Bildern mit fantastisch schrägen Wortkombinationen, führt in eine schummrige, irrlichternde Welt. Je nach Verkehr wird der "Erztunnel" zu einem neuralgischen Ort vorbeiflitzender erotischer Bilder oder eines im Stau sichtbar werdenden Zwischenreichs aus Mythos, Sagenwelt und Science-Fiction. Über die Gründe, warum seine Arbeit seit einigen Jahren überaus gefragt ist, sprach Jonathan Meese mit den SN.

Gibt es allgemeine Regeln für den Erfolg eines Künstlers und dafür, dass seine Arbeit als Kunst anerkannt wird? Meese: Kunst soll das tun, was sie möchte, genauso wie die Natur. Jeder Mensch weiß um die Stärken der Natur, die uns sehr betreffen und provozieren kann, ohne dass wir am Wirken der Natur etwas ändern können. So verstehe ich auch die Kunst: Sie besteht für sich, ist abgekoppelt, es ist unangemessen, der Kunst - wie der Natur - etwas vorschreiben zu wollen, was sie zu tun habe, über sie ein diktatorisches Gesetz zu erlassen.Goethe sagte: "Die Kunst ist lang, und kurz ist das Leben." Kunst überdauert den Künstler. Meese: Ja, aber Kunst erschafft sich selbst. Nicht ich mache die Kunst, ich bin das Mittel, durch das sich Kunst kreiert. Wenn ich willentlich, manipulativ selbst sehr viel dazutue, wird's nicht gut. Nach einem Konzept Kunst machen zu wollen, gelingt nicht. Kunst hat ihren eigenen Geist, der sich formiert und nicht von unserem Wollen und Beurteilen überboten werden kann. Die Kunst gehört niemandem, genauso wie ein Kind niemandem "gehört".Sie gelten als Rabauke, genialer Kunstbarbar, ein "enfant terrible" der Kunst, das verstört und provoziert, ein Mensch, der an die Bildoberfläche holt, was in ihm womöglich ganz schlimm brodelt. Wer Sie allerdings näher kennt sagt, Sie seien ein lieber, warmherziger Mensch. Kann man Ihnen trauen? Meese: Es ist ein großer Fehler, von der Kunst auf die Person und umgekehrt zu schließen. Weil das, was ich mache, nicht lieb ist, muss ich doch kein böser, abartiger Mensch sein.

Um Provokation geht es mir mit Sicherheit nicht. Nur wenn man oberflächlich und schnell etwas erfassen und damit abtun will, kann man bei mir von Revolte und Provokation sprechen. Das ist mein Schild gegen schnelle und allgemeine Einvernahme. Natürlich darf jeder seine Meinung haben, aber unsere Meinungen sind letztlich nicht relevant, sie sollten als eine individuelle Äußerungen stehen, mehr nicht.Kränkt es Sie, wenn man in Ihnen einen phallusorientierten Egomanen sieht? In Ihren Bildern ist oft ein Selbstbildnis integriert. Meese: Angst und Scham im Menschen machen alles so niedrig und klein, und die Kommunikation verschandelt vieles, vieles ist Geschwätz, das nachgeplappert wird. Wir sind umgeben von Dingen, die wir nicht verstehen, die Kunst gehört dazu. Das macht Angst.

Um sie zu eliminieren, legt man sich eine "eigene" Meinung zu, die man aber nicht nachvollziehen kann. Auch die Scham entwickelt sich eigenartig: Wir schämen uns nicht mehr, unsere Meinung zum Gesetz zu erheben, wir sollten loslassen, unsere Individualität zum Mittelpunkt der Welt zu stilisieren. Wir sollten uns selbst verzeihen, dass wir vieles nicht verstehen.Führt uns der "Erztunnel" aus dem "Unanständigen" heraus? Meese: Obszönität und Perversion ist für mich ja nicht die Darstellung von Körperteilen, sondern die "Gesichtslosigkeit".

Der Tunnel ist mein Traum, nicht entgleisen zu können. Wir werden hinausgeführt, hinaus aus persönlichen Höllen ins Paradies, aus dem Wahnsinn in die Erkenntnis.In Ihrer Arbeit tauchen immer wieder die unsäglich bösen Gestalten der Geschichte, Sagen- und Filmwelt auf: Hitler, Stalin, Echnaton, Caligula, Hagen von Tronje, Dr. No aus James Bond oder Alex de Large, der Titelheld aus Kubricks Clockwork Orange. Muss Macht böse sein, reiben Sie diese Figuren nicht auf? Meese: Ich glaube an die totale Utopie der Kunst und ihrer Macht. Ich möchte, dass die Kunst die Macht übernimmt. Sie würde uns nichts anhaben wollen, sie will uns nicht unterdrücken. Das haben wir noch nicht verstanden, wir geben immer den falschen Dingen Macht.

Diese Figuren halten für unser globales Empfinden her, gegen einen Feind angehen zu müssen. Es liegt an uns, sie zu erlösen und in die Neutralität zu entlassen.