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Schabus: „Der letzte Dreck“ aus Wien in Lyon

11.04.2011 | 18:33 | J.EMIL SENNEWALD (Die Presse)

Staub aus dem Atelier, unsichtbare Spuren in Städten und Musik in der Wand. Der österreichische Künstler Hans Schabus erkundet im Kunstzentrum von Villeurbanne, Lyon, die Ordnung und die Geschichte von Räumen.

Eine hüfthohe Kette läuft durchs Institut d'art contemporain (IAC) in Lyon. Fette Stahlglieder unter Spannung. „Ein Meterriss ist das Erste, was man macht, wenn man eine Baustelle einrichtet“, erklärt Hans Schabus. Normalerweise nimmt man dafür Faden oder Strich. Schabus nimmt's wörtlich, reißt gleich die Wände mit ein, teils bis auf die Grundmauer. Die Kette trennt in der Mitte der Ausstellung einen Bezirk ab, den nur betreten kann, wer sich bückt. Drinnen liegt „Der letzte Dreck“ (2007), ein Kehrichthaufen, von anmutiger Staub-Aura umgeben. Relikt des letzten Auskehrens, bevor Schabus sein Wiener Atelier verließ.

Ein paar Schritte weiter – Kopf einziehen! – betritt man durch die niedrige Tür den Technikraum des IAC, eigens für Schabus zugänglich gemacht. Darin: Fotografien von seinen Aktionen im Kleinstboot „Forlorn“, umgebaut aus der Segelklasse „Optimist“, in den Gewässern internationaler Metropolen. „Ich habe aus dem Optimisten einen Pessimisten gemacht“, erklärt er, „denn er war faltbar, hatte Räder, um in der Kanalisation auf festem Grund fahren zu können. Der Optimist heißt ja so, weil man einfach losfahren kann. Mit diesem Boot war das anders.“

 

120Tonnen Lärchenholz in Venedig

Anders ist es meist im Werk von Schabus. Seine Raumbezwingungen fordern Anpassungsbereitschaft, die mancher, verschreckt von der autoritären Geste, nicht zeigen will. Lässt man sich darauf ein, wird räumliche, plastische Erinnerungsarbeit erkennbar. 2005 verbaute Schabus auf der Venedig-Biennale 120Tonnen Bretter aus Lärchenholz. Der Besucher konnte dem österreichischen Pavillon und dessen Geschichte unter die zweite Haut kriechen. Schabus sichert nicht sichtbare Spuren, auf denen Städte erbaut sind, die sich durchs kollektive Raumbewusstsein ziehen wie Adern durch Marmor: „Wie in der klassischen Skulptur nehme ich eher vom Vorhandenen weg, reduziere es auf seine Grundelemente.“

So zeichnet er nach, wie es im Auland ausgesehen haben muss, das einst dort war, wo heute sein aktuelles Atelier in Wien steht. „Da gibt es Verbindungen zu dieser Ausstellung“, erklärt er, „auch wo das IAC steht, war alles einmal Feuchtgebiet.“ Mit viel Akribie erforscht Schabus den Geist und Dämon eines Ortes, seine Geschichte – und die Beziehung zu seinem eigenen Leben. Am Eingang des IAC findet man hinter einer Wandverkleidung einen Kinderbrief an die Eltern, daneben hängt die alte Jacke, die er während seiner Grabungen für „Astronaut“ 2003 in der Wiener Secession trug. „Das ist keine Retrospektive“, betont Nathalie Ergino, die seit 2006 als Direktorin das Kunstzentrum am Rand von Lyon zum Gravitationspunkt der französischen Kunstdynamik entwickelt hat, „vielmehr ein Statement“.

Und ein wichtiger Beitrag zur Diskussion über Räume und ihre Beziehung zu sozialen Strukturen, die derzeit in Frankreichs Kunst läuft. Schon zu „Fabricateurs d'espaces“, Erginos bester Ausstellung, trug Schabus bei, mit einer Bretterwand, in die Johann Strauß' „Demolirer-Polka“ als Audiogramm geschnitten war. „Wie eine Komposition nehme ich die Eigenschaften eines bestimmten Ortes“, sagt er über seinen Film „Atelier“ (2010), „ich lege sie über einen anderen und kläre so über räumliche Ordnungssysteme auf.“ Im IAC hören wir die fast 20-minütige Schießerei aus Sam Peckinpahs Wild Bunch von 1969 – doch wir sehen Bilder aus Schabus' Atelier. Exakt geschnitten wie der Western, mit denselben Einstellungen.

„Nichts geht mehr“ heißt die Ausstellung. Sie empfängt den Besucher erst etwas konzeptuell-hermetisch, erweist sich aber bald als geistreiches literarisches Spiel mit Titeln, persönlicher und lokaler Geschichte – in seinem Gestus dem Werk von Francis Alÿs verwandt –, als Tiefenbohrung, mit der sich der Künstler aus dem Raum heraus schneidet.

Bis 24.April, Info: www.i-ac.eu


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