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derStandard.at | Newsroom | Kultur | Bildende Kunst 
14. April 2009
17:55 MESZ

Bis 19. Juli

 

Trotz seiner Abneigung gegenüber den Traditionalisten blieb Corinth mythologischen Themen, dem Inbegriff akademischer Malerei, zeit seines Lebens treu: "Die Waffen des Mars", 1910.


Von totem und lebendigem Fleisch
Das Werk des deutschen Malers Lovis Corinth verweigert sich eindeutigen Kategorien wie Salonmalerei oder Expressionismus

Wien - Wenn Lovis Corinth an einem seiner zahlreichen Schlachthausbilder malte, klagte er in Briefen an seine Frau über die Hitze, den Gestank und die schwere Arbeit. Heinrich Louis Corinth, 1858 geborener Sohn eines Gerbermeisters, der seine Kindheit in bäuerlicher Umgebung nahe Königsberg (im ehemaligen Ostpreußen) verbracht hatte, faszinierte das ungewöhnliche Sujet seit Kindertagen: Beim Schlachten selbst versteckte der junge Louis sich; hingen die Tiere aber erst an den Haken, "sah ich nicht mehr die Kreatur von früher, und ich ergötzte mich".

Die "Metzgerarbeiten", wie es in einem Münchner Zeitungsbericht von 1892 hieß, bannte er zwischen 1892 und 1921 in 14 überlieferte Arbeiten; schonungslose, geradezu brutale Bilder aufgeschlitzter Kalbs- oder Ochsenhälften. Es herrschte für Corinth wohl eine berauschende Atmosphäre im Schlachthaus, die sich in großzügigen, bewegten Pinselstrichen widerspiegelt.
Lovis Corinth, wie sein Künstlername ab 1888 lautete, benötigte keine Detailtreue, um Fett, Sehnen, Muskeln, frisches Blut, Fleisch und die Wirkungen des Lichts auf diesem damals wie heute nicht gerade alltäglichen Malgegenstand einzufangen. Eine Realitätsnähe, aus der seine Arbeiten ihre moderne Wirkung beziehen.

Die Verwandtschaft zu den realistischen weiblichen Akten Lovis Corinths ist in einer Art erschreckend, auch erniedrigend, jedoch - und zudem in der räumlichen Nähe der ausgewählten Beispiele im Belvedere - offensichtlich: Den Arm über dem Kopf, der Fuß halb über der Kante hängend, droht der "Liegende weibliche Akt" von 1907 regelrecht den Tisch hinunterzurutschen. Der Körper dieser Frau gleicht eher totem Fleisch als einer gut durchbluteten, schlafenden jungen Dame.

Eingebettet in zahlreiche Beispiele Corinth'scher Salonmalerei, Damen der Münchner Gesellschaft wie etwa "Die Sängerin Frieda Halbe" (1905), stechen solche Beispiele expliziter Fleischlichkeit wie Fremdkörper heraus - eine wilde Energie, die das elegante rote Oval, in dem das Belvedere die Sammlungsbeispiele als Teil der neuen Reihe "Meisterwerke im Fokus" präsentiert, zu sprengen scheint.

Zittriger Pinselstrich

"Lovis Corinth - Ein Fest der Malerei" zeigt dessen Werk in kleiner, aber sein ganzes Malerleben abbildender Auswahl. Aufschlussreich wird die Präsentation, die Corinths Stilwandel im Spätwerk auch unter medizinischen Aspekten betrachtet - er erlitt 1911 seinen ersten Schlaganfall -, jedoch vor allem durch einen kurzen Film: Als der Dokumentarfilmer Hans Cürlis 1922 mit seiner Reihe "Schaffende Hände" begann, war Film noch kein dokumentarisches Lockmittel, es galt den Künstler also zunächst zu überreden.

Zwar vermag das schwarz-weiße Filmdokument nicht Corinths leuchtende Farbakzente einzufangen, wohl aber, wie der 1925 verstorbene Maler mit zittrigem und dennoch sicherem Pinselstrich, zügig die leere Leinwand füllt: Aus abstrakten Linienwirrnissen, die ebenso Atmosphäre wie Architektur beschreiben, entstehen jene vibrierenden, aufgelösten Oberflächen, die bei Corinth bis zuletzt der materiellen Welt verpflichtet sind. (Anne Katrin Feßler/DER STANDARD, Printausgabe, 15. 4. 2009)

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