Bis 19. Juli
Wien
- Wenn Lovis Corinth an einem seiner zahlreichen Schlachthausbilder
malte, klagte er in Briefen an seine Frau über die Hitze, den Gestank
und die schwere Arbeit. Heinrich Louis Corinth, 1858 geborener Sohn
eines Gerbermeisters, der seine Kindheit in bäuerlicher Umgebung nahe
Königsberg (im ehemaligen Ostpreußen) verbracht hatte, faszinierte das
ungewöhnliche Sujet seit Kindertagen: Beim Schlachten selbst versteckte
der junge Louis sich; hingen die Tiere aber erst an den Haken, "sah ich
nicht mehr die Kreatur von früher, und ich ergötzte mich".
Die
"Metzgerarbeiten", wie es in einem Münchner Zeitungsbericht von 1892
hieß, bannte er zwischen 1892 und 1921 in 14 überlieferte Arbeiten;
schonungslose, geradezu brutale Bilder aufgeschlitzter Kalbs- oder
Ochsenhälften. Es herrschte für Corinth wohl eine berauschende
Atmosphäre im Schlachthaus, die sich in großzügigen, bewegten
Pinselstrichen widerspiegelt.
Lovis Corinth, wie sein Künstlername
ab 1888 lautete, benötigte keine Detailtreue, um Fett, Sehnen, Muskeln,
frisches Blut, Fleisch und die Wirkungen des Lichts auf diesem damals
wie heute nicht gerade alltäglichen Malgegenstand einzufangen. Eine
Realitätsnähe, aus der seine Arbeiten ihre moderne Wirkung beziehen.
Die
Verwandtschaft zu den realistischen weiblichen Akten Lovis Corinths ist
in einer Art erschreckend, auch erniedrigend, jedoch - und zudem in der
räumlichen Nähe der ausgewählten Beispiele im Belvedere -
offensichtlich: Den Arm über dem Kopf, der Fuß halb über der Kante
hängend, droht der "Liegende weibliche Akt" von 1907 regelrecht den
Tisch hinunterzurutschen. Der Körper dieser Frau gleicht eher totem
Fleisch als einer gut durchbluteten, schlafenden jungen Dame.
Eingebettet
in zahlreiche Beispiele Corinth'scher Salonmalerei, Damen der Münchner
Gesellschaft wie etwa "Die Sängerin Frieda Halbe" (1905), stechen
solche Beispiele expliziter Fleischlichkeit wie Fremdkörper heraus -
eine wilde Energie, die das elegante rote Oval, in dem das Belvedere
die Sammlungsbeispiele als Teil der neuen Reihe "Meisterwerke im Fokus"
präsentiert, zu sprengen scheint.
Zittriger Pinselstrich
"Lovis
Corinth - Ein Fest der Malerei" zeigt dessen Werk in kleiner, aber sein
ganzes Malerleben abbildender Auswahl. Aufschlussreich wird die
Präsentation, die Corinths Stilwandel im Spätwerk auch unter
medizinischen Aspekten betrachtet - er erlitt 1911 seinen ersten
Schlaganfall -, jedoch vor allem durch einen kurzen Film: Als der
Dokumentarfilmer Hans Cürlis 1922 mit seiner Reihe "Schaffende Hände"
begann, war Film noch kein dokumentarisches Lockmittel, es galt den
Künstler also zunächst zu überreden.
Zwar vermag das
schwarz-weiße Filmdokument nicht Corinths leuchtende Farbakzente
einzufangen, wohl aber, wie der 1925 verstorbene Maler mit zittrigem
und dennoch sicherem Pinselstrich, zügig die leere Leinwand füllt: Aus
abstrakten Linienwirrnissen, die ebenso Atmosphäre wie Architektur
beschreiben, entstehen jene vibrierenden, aufgelösten Oberflächen, die
bei Corinth bis zuletzt der materiellen Welt verpflichtet sind. (Anne
Katrin Feßler/DER STANDARD, Printausgabe, 15. 4. 2009)