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13.09.2006 - Kultur&Medien / Ausstellung
Atelier Augarten: Schiele am Spannteppich
VON ALMUTH SPIEGLER
Viel Blutleeres in der heutigen Schiele-Beschau, die Rettung: Brus.

Schiele, einst Bürgerschreck, ist Bil dungsbürgergut geworden heute. So gar die durchaus so gemeinten soft pornografischen Mädchenakte werden im schummrigen Halbdunkel eleganter Großausstellungen wohlwollend auf das formidable Disegno beäugt. Hunderte Epigonen üben sich noch immer in seiner frühexpressiven Ausdruckskunst.

Doch wie wirkte sich die Kunst des mit 28 Jahren verstorbenen, genieverdächtigen Malers und Zeichners auf die Kunstgeschichte danach aus? Auf die Künstler wohlgemerkt, die Altes nicht nachahmen, sondern mit den Mitteln ihrer Zeit beantworten? Beispiele für Antworten auf diese Frage gibt zurzeit Thomas Trummer, der im "Atelier Augarten" neun aktuelle Positionen zeigt, die sich entweder direkt mit Schiele beschäftigen oder inhaltlich bzw. stilistisch auf diesen zumindest zurückzuführen sind.

Es ist der zweite Teil der bereits in den Endzügen liegenden großen Sommerschau der Österreichischen Galerie Belvedere "Die Tafelrunde. Egon Schiele und sein Kreis" (bis 24. 9.). Spät, aber doch wird das Thema hier im fernen Ausgedinge der Gegenwart in die Jetztzeit ausgeweitet. Ein engerer Zusammenhang mit dem Haupthaus wäre schön gewesen. So wirkt es fast absurd, etwa die 80er-Druckserie von US-Aneignungskünstlerin Sherrie Levine über die Bild-vom-Bild-Problematik bei Schiele-Reproduktionen zu betrachten - und sich dabei mühsam die Unterschiede mit den Originalen aus dem Gedächtnis zu ringen.

Eine vor allem lustige Gegenüberstellung gelingt dagegen dem Wiener Künstler Christoph Weber: Er lässt Szenen aus zwei Filmbios Schieles, beide von 1980, nebeneinander laufen. Felix Mitterer gegen Matthieu Carrière also. Denkt man an den peinlichen neuen Klimt-Film Raoul Ruiz', indem Schiele als eine Art Spastiker überzeichnet wird, könnte man nahezu Nostalgiker werden.

Apropos: Markus Geiger montierte für seinen Beitrag zwei medizinische Handschuhe, die bei dieser Krankheit helfen sollen, die Finger zu spreizen, auf Spannteppich. Womit eine Art Skizze von Schieles affektiertem Künstlerselbstbild erreicht werden soll, ein recht simpler Gedanke, weder optisch noch ethisch überzeugend.

Von Letzterem bei Otto Mühl überhaupt zu reden ist höchstens beim Frühwerk gestattet: Zu sehen ist seine Version von Schieles "Vier Bäume" (1917) von 1957, die bei schnellem Blick fast als Fantastischer Realismus durchginge, wären nicht echte Blätter in die Leinwand eingearbeitet. Nicht so inhaltlich konkret, dafür stilistisch findet sich der Bezug bei Hubert Schmalix: Die halbschräge Vogel-Perspektive, mit der er seine amerikanischen Häuserzeilen festhält, versetzt den Betrachter in ähnlichen Schwebezustand wie Schieles Krumau-Bilder.

Ansonsten ergehen sich die meist jüngeren Künstler - oft waren sie hier im "Atelier Augarten" Artist in Residence - in recht verhaltenen, blutleeren Anspielungen, man kennt dieses Phänomen von der Amsterdamer Schiele-Schau 2005, in der Marina Abramovics Performance-Studenten vor Schieles Denkmal nachgerade erstarrten vor Ehrfurcht: Der polnische Maler Marcin Maciejowski montierte Schiele und Klimt (nach Fotos) nebeneinander. Keith Farquahr erinnert an den Maler als jungen Wilden, indem er die mit den Namen von Schiele und Oskar Wilde bemalten Jeans eines seiner Studienkollegen nachbastelte.

Einzig Günter Brus hält Schieles provokativer Intensität stand, beide mussten sie wegen ihrer Kunst auch ins Gefängnis: Mit seinen extremen Körperaktionen und Zeichnungen davon ist er nicht nur bewusster Nachfolger, sondern auch radikale Forttreibung von Schieles Geist in der Nachkriegszeit. Zu Recht stehen seine Arbeiten hier am Anfang - und noch einmal, am Ende.

Bis 11. Februar, Scherzergasse 1a, Wien 2, Di.-So., 10-18 Uhr.

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