Lernen als künstlerische Praxis

Von Kristina Pfoser


Im künstlerischen Schaffen des Vorarlberger Konzeptkünstlers Rainer Ganahl spielt das Video als vielfältiges Ausdrucksmittel eine wichtige Rolle. In seinen Projekten - wie Leseseminare, systematische Sprachstudien oder Forschungen zu lokaler, individueller und politischer Sprachgeschichte - setzt er Videos als Vermittler, Lernhilfe oder Dokument ein.

"Sprache der Emigration"

So hat Ganahl auch das Lernen von Fremdsprachen als künstlerische Praxis betrieben. Mehr als zehn Jahre lang hat er seine Studien der japanischem, griechischen, koreanischen, russischen oder chinesischen Sprache in Form von Videoaufzeichnungen und Fotos dokumentiert.

Jetzt hat sich der 1961 in Bludenz geborene Künstler, der seit über zehn Jahren in New York lebt, wieder der deutschen Sprache zugewandt. "Sprache der Emigration" heißt sein neues Projekt, das er jetzt in der Wiener Galerie nächst St. Stephan vorführt.

Schlüsselerlebnis

Migration und kultureller Transfer sind zentrale Motive der Kunst seit den 90er Jahren. Bemerkenswert ist, dass Rainer Ganahl, Biennale-Teilnehmer des Jahres 1999, vom Zufall zum Thema Emigration geführt wurde.

48. Biennale in Venedig 1999, Rainer Ganahl
48. Biennale in Venedig 1999, Rainer Ganahl

In Amsterdam sei er 1999 auf der Straße mit einer älteren Dame ins Gespräch gekommen, deren deutschsprachiger Akzent ihm aufgefallen war - ein Schlüsselerlebnis, dem der Künstler in seiner New Yorker Wahlheimat mit der Emphase des Entdeckers nachgegangen ist.

"Eine Welt entdeckt"

"Ich hab da eine Welt entdeckt, die ich nicht kannte und doch kannte", erinnert sich Ganahl. "Zuerst war ich einmal verwundert und gewissermaßen entsetzt, dass ich zehn Jahre in New York lebte und diese Leute zum Teil bei mir im Haus wohnten und ich das nicht überrissen habe" - die Rede ist von Vertriebenen aus den 30er und 40er Jahren.

Seither habe er angefangen, Leute zu suchen, sie zu interviewen, deren Umgebung zu fotografieren, und "eine gewisse Form von Historiografie zu betreiben."

Eine Erfahrung

Recherche und Dokumentation verdichteten sich für Rainer Ganahl vor der Folie der unmittelbaren Konfrontation mit den Schicksalen zunächst zu einer Betroffenheit.

"Es ist von einem reinen Informationselement zu einer Erfahrung geworden. Ich habe dahinter nicht diese Schicksale vermutet." Ihn habe jedoch auch der sprachliche Aspekt interessiert: "Inwieweit Trauma, Emigration, Sprache sich da überlagern, wann sprechen die Leute Englisch, wann lehnen sie es ab, Deutsch zu sprechen, wann kann etwas nur auf Deutsch gesagt werden. Manche Leute mussten auf Englisch umschwenken."



Der Emigrant Kurt Frankfurter

Neun Lebensbilder

Insgesamt neun Emigranten-Porträts aus einer umfangreichen Serie von Lebensbildern präsentiert Rainer Ganahl in der Wiener Galerie nächst St. Stephan - darunter auch jenes von John Kallir, dem Sohn des Gründers der Galerie, der über Paris nach New York emigrierte und die Nachfolgegalerie St. Etienne gründete.

Videos, ergänzt durch Fotos, machen die Lebenswelten dieser Emigranten sichtbar: Gmundner Porzellan, Sofapölster mit Lipizzanern, Klimt-Plakate, Aquarelle von Gebirgsbächen und Wiener Stadtansichten - die Zwischenwelt des Exils, wie wir sie auch aus Dokumentarfilmen und Fotoreportagen kennen.

"Bin Dilettant"

"Ich selber bin mehr oder weniger zufälligerweise in diesem Kontext Kunst unterwegs", meint Ganahl, der sich als "dilettantischer Historiker, Linguist, Fotograf und Filmemacher" bezeichnet. "Nachdem das hier in einer Galerie hängt und nicht in einem historischen Museum, ist natürlich die Zielgruppe die Besucher von zeitgenössischer Kunst. Mich interessiert das schon, wie das in diesem Kontext zeitgenössischer Kunst, der eigentlich solche Sachen fast bewusst ausklammert, funktioniert."

Im Kontext zeitgenössischer Kunst, in der Galerie nächst St. Stephan, ist Rainer Ganahls Projekt "Sprache der Emigration" denn jetzt auch zu sehen und zu hören.

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