Die Aussicht ist unvergleichlich – direkt aufs Riesentor des Stephansdoms. So ein Atelier muss sich ein Künstler in Österreich erst einmal leisten können. Doch hier werkt kein Attersee, sondern der 1981 geborene Nick Oberthaler. Auch kein unbeschriebenes Blatt, man könnte ihn young and upcoming nennen. Aber die Adresse Bauernmarkt 1? Hätte man ihm auch nicht zugetraut.
Seit 2005 arbeitet er hier. Und muss nur den Strom berappen, Miete und Betriebskosten sind frei. Wer ist der Wohltäter, der Mäzen? „Zu große Worte“, wehrt Martin Lenikus solche Attribute ab. Dennoch hat der Wiener Immobilien-Entwickler vor über zehn Jahren begonnen, was andere in seiner Branche nicht so schnell tun würden – leer stehende Objekte jungen Künstlern als Ateliers zur Verfügung zu stellen. Umsonst. Er möchte nur Hilfe zur Selbsthilfe leisten, erklärt er bescheiden.
Nahe Oberthaler, in einem kleinen Durchgangsraum, arbeitet der Kirgise Nasdar Mumai – wenn er nicht gerade auf dem Stephansplatz Touristen porträtiert. In seiner Heimat unterrichtet der Damisch-Schüler allerdings schon selbst auf der Akademie. Das Künstlerkollektiv Mahony genießt seit 2007 hier Asyl, auch Fabian Seiz, Svenja Deininger, die Maler Stylianos Schicho und Coelestine Engels arbeiten im denkmalgeschützten Haus, das Ende des 17.Jahrhunderts erbaut wurde. „Ich finde junge Kunst gehört ins Zentrum. An der Peripherie geht so etwas natürlich immer viel leichter“, sagt Lenikus.
1500 Quadratmeter sind es insgesamt, die Lenikus auf den Adressen
Bauernmarkt eins und neun zur Verfügung stellt. Seit einigen Monaten
gibt es auf Nummer neun sogar einen eigenen Kunstverein, „Coco“, samt
eigener Bar. Eine gute Schnittstelle für die Dauergäste von Nummer
eins, die sich hier mit den wechselnden „Artists in Residence“ von
Nummer neun mischen. Zwei Appartements stehen dafür zur Verfügung, für
eine Dauer von bis zu zwei Monaten. Der Franzose Pierre Bismuth war
schon hier oder die Iranerin Laleh Khorramian.
Ein
Immobilientrick? Wo liegt nur der Haken dieses für Wien ungewöhnlichen
Privatengagements? Ist die Künstleransiedlung etwa ein besonders
subversiver Immobilienhaitrick, um Altmieter rauszuekeln? „Dafür habe
ich definitiv die falschen Künstler eingeladen“, meint Lenikus
lächelnd. Andreas Duscha von Mahony wirft dazu nur lapidar ein: „Letzte
Weihnachten haben wir von unserer Nachbarin sogar Kekse bekommen.“
Vielleicht darf Lenikus sich die besten Arbeiten der Kolonie für seine
Sammlung aussuchen? Auch nicht (ganz). Eine Sammlung habe er schon,
sagt er. Aber so oft besuche er die Ateliers nun auch wieder nicht.
Betreut werden Ateliers und Sammlung, für die ein beachtliches Jahresbudget von 200.000 Euro festgelegt wurde, übrigens von Lenikus-Mitarbeiter Christian Fink. „Das Wichtigste ist uns die Qualität“, erklärt Lenikus das Auswahlverfahren. „Wir wollen Leute, die marktfähige Kunst auf höchstem Niveau machen. Mit dem wirtschaftlichen Teil wollen wir nichts zu tun haben, das machen die Galerien.“ Mit „den Galerien“ meint er vor allem die jungen Wiener Layr Wuestenhagen, aber auch mit Ursula Krinzinger besteht Kontakt.
Mit diesem Kontakt zu Galerien hat auch Lenikus Kunstleidenschaft begonnen. „Ich bin einfach schon als Student durch Galerien gegangen“, erzählt der Floridsdorfer, der mittlerweile in Grinzing lebt und Biowein anbauen lässt, in seiner typisch unaufgeregten Art. An den Ateliers scheint er aber doch mit gewisser Leidenschaft zu hängen. „Ich ertappe mich, wie ich Pläne hinausschiebe, um sie zu erhalten“, gesteht der Geschäftsmann. Ein, zwei Jahre werde es dieses Angebot noch geben. Dann wird eben woanders weitergemacht, vielleicht nur nicht mehr „einen Steinwurf entfernt vom Stephansplatz“.